Es sind Geschichten vom Leben im Versteck, des Verbergens der eigenen sexuellen Identität: Beim Holocaust-Gedenktag erinnerte nicht nur der Bundestag an das Schicksal Homo- oder Transsexueller in der NS-Zeit. Es war auch Thema beim jährlichen Gedenken im Karlsruher Ständehaussaal. Dabei präsentierte der Historiker Christian Könne neueste Erkenntnisse aus seiner Forschung zur Situation homosexueller und queerer Menschen in Nordbaden.
Homosexualität war lange Zeit Tabuthema
„Seit 1997 ist der 27. Januar von besonderer Bedeutung für die Auseinandersetzung mit dem NS-Terror“, sagte Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup. Es gehe darum, aus der Erinnerung konkretes Handeln in der Gegenwart abzuleiten. Das Stadtoberhaupt betonte auch, wie wichtig es sei, Opfer und Namen mit ihrer Geschichte „sichtbar zu machen.“ Der Historiker Dr. Christian Könne, der am Pädagogischen Institut Rheinland-Pfalz in Speyer arbeitet, forscht seit einigen Jahren zur Situation von homosexuellen und queeren Menschen in Nordbaden und der Pfalz. Homosexualität sei auch in der Nachkriegszeit noch lange ein Tabuthema geblieben, dabei habe sich schon ab 1921 in Karlsruhe „eine bekennende Szene“ gebildet, so Könne. Zeitschriften wie „Die Freundschaft“ erschienen und in der Hirschstraße gab es einen regelmäßigen Treffpunkt. Karlsruhe wurde dabei zum Zentrum regionaler Treffs, mit Radius von Mannheim bis Freiburg. Doch schon ab 1933/34 begannen die Nazis „Strukturen zu zerschlagen“, Homosexuelle seien von den NS-Machthabern „als Volks- und Staatsfeinde gebrandmarkt worden.“ 1935 wurde der Paragraph 175 verschärft – und bestand bis 1969. Schon unzüchtige Blicke galten als „ideeller Koitus.“
Karlsruhe urteilte hart
In Kleinarbeit hat der Historiker Strafprozesse analysiert. 1937 habe es 337, und 1938 weitere 239 Anklagen gegeben auf der Grundlage des Paragraphen 175 – eine Vervielfachung zur Anzahl der Fälle vor der Zeit von 1935. „Das Oberlandesgericht Karlsruhe war im heutigen Baden-Württemberg führend in der Härte der Bestrafung von Homosexuellen“, berichtete Könne. Homosexualität war auch in der Nachkriegszeit noch lange ein Tabuthema, sagt Könne. Richard von Weizsäcker thematisierte die Verfolgung 1985 erstmals öffentlich, ein Jahr später enthüllte man in Berlin am Nollendorfplatz einen in Stein stilisierten „Rosa Winkel.“ Mit diesem Zeichen wurden in den Konzentrationslagern inhaftierte Homosexuelle gebrandmarkt.
Stolpersteine erinnern an Verfolgung und Ermordung
Der erste Stolperstein für einen in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen wurde 2008 in Karlsruhe verlegt. Gegen den 1894 in Forchheim geborenen Ernst Schorb, der 1919 in Karlsruhe einen Friseurladen eröffnete, war erstmals 1936 ein Verfahren „wegen Homosexualität“ eingeleitet worden. Nach Fronteinsatz kam er 1944 „wegen einer verbotenen Beziehung“ vor ein Kriegsgericht. Verlegt nach Lübeck, starb er am 8. April 1945 an den Folgen der Haft und Schwerstarbeit. Zwei weitere Stolpersteine für verfolgte Homosexuelle kündigte OB Mentrup für das kommende Frühjahr an.
Autor: Stefan Jehle, Karlsruhe