Der Publizist und Philosoph Prof. Dr. Michel Friedman hielt am 31. März eine Rede vor rund 500 Zuschauern im Karlsruher Tollhaus. Der Vortrag unter dem Titel „Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten – Welche Verantwortung tragen wir?“ war zur Eröffnung der „internationalen Wochen gegen Rassismus“ geplant, musste allerdings aus Krankheitsgründen verlegt werden.
Noch keine "Finsternis"
Der 69-Jährige verwehrte sich gegen die titelgebende Einschätzung: Finsternis herrsche momentan in Istanbul, Kiew, China, im Jemen oder in Nordkorea, nicht im heutigen Deutschland. Den Anfang rechter Gewalt gelte es jedoch abzuwehren. Für Integration und Chancengleichheit sei Bildung dabei zentral. 40 Prozent aller Jugendlichen unter 20 Jahren wüssten nicht, was Auschwitz ist. „Wie sollen sie darüber nachdenken und lernen, wie Menschen mit Menschen nicht umgehen sollen, und wie sie vielleicht miteinander umgehen sollten?“ Die AfD sei zwar demokratisch gewählt, aber deswegen keine demokratische Partei. „Ich wäre ja schon froh, wenn man die, die diese Partei wählen, nicht mehr beleidigt, in dem man sie Protestwähler nennt.“ Er wünsche sich, dass man „sie ernst nimmt und sagt: Ihr habt den Hass gewählt, wir müssen streiten!“ Dass in Schulen keine Streitkultur gelehrt werde, zeige, dass die Gesellschaft nicht begriffen habe, dass Infragestellen ein Gewinn sei. Eine Grundlage bestehe darin, den anderen anzuerkennen.
„Die schlechteste Demokratie ist mir immer noch lieber als die beste Diktatur“
Unter den EU-Mitgliedsländern seien indes einige nicht mehr demokratisch. „Die schlechteste Demokratie ist mir immer noch lieber als die beste Diktatur“, weil noch der Mensch im Mittelpunkt stehe. Als Philosoph sei er mittlerweile so weit, „dass ich gelernt habe, Moral ist selten ein gutes Argument. Aber Egoismus und eigene Interessen, das kommt gut an.“ Er wolle „nicht wie die AfD morgens nur noch Graubrot essen, weil das Croissant aus Frankreich kommt.“ Er wolle reisen, offene Grenzen, „bei allem, was wir auch zu Recht diskutieren müssen“. Bei Mord oder Vergewaltigung „hat unser Rechtsstaat rechtsstaatlich zu verurteilen – und zwar völlig unabhängig, ob du Alex, Ahmed oder Ayse heißt.“
„Handelsvertreter" für das Grundgesetz
Wahrnehmungen, früher sei alles besser gewesen, entgegnete er, dass vor 30 Jahren die Vergewaltigung in der Ehe straffrei gewesen sei, und vor 60 Jahren Frauen teils noch die Unterschrift ihrer Ehemänner zur Kontoeröffnung gebraucht hätten. Er sei gerne „Handelsvertreter für dieses Grundgesetz“. „Die Würde des Menschen ist unantastbar – ich kenne keine größere Liebeserkärung“, schloss Friedman vor dem begeisterten Publikum, bevor eine Podiumsdiskussion mit Meri Uhlig, Leiterin der Büros für Integration, folgte. Bei einem Hass-Post in den sozialen Medien denke er manchmal, man müsse einfach nur mit einem Herz antworten, so Friedman. „Was macht jetzt der Hassende mit dem Herz?“ Auch wenn Jugendliche, die „viel cooler“ seien, ihn auslachen mögen: „Wenn es ein letztes Wort in meinem Leben gäbe, dann das Herz.“ -nke-