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Erst ausgegrenzt und dann ermordet

Vortrag zum Holocaust-Gedenktag über Schicksal der Sinti und Roma

Blumen- und Kerzenschmuck auf den Stolpersteinen vor der Stadtbibliothek anlässlich des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar Blumen- und Kerzenschmuck auf den Stolpersteinen vor der Stadtbibliothek anlässlich des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar © Stadt Karlsruhe, Georg Hertweck

Ob die Täter seinerzeit versuchten, ihre Verbrechen zu vertuschen, oder ob die Akten verloren gingen, bleibt unklar. Doch trotz dürftiger Quellenlage steht zweifelsfrei fest: Sinti und Roma wurden während des Nationalsozialismus in Karlsruhe wie auch in ganz Baden unerbittlich verfolgt und in den Tod geschickt. Ihre bedrückendes Schicksal schilderte der Historiker Johannes Kaiser in seinem Vortrag zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.

"Ungebrochene Kontinuität"

Nicht minder bedrückend war für die zahlreichen Gäste, die auf Einladung der Stadtverwaltung in den Ständehaussaal kamen, die Erkenntnis aus den Forschungen von Kaiser: Antiziganismus sei kein spezifisches Phänomen des "Dritten Reiches" gewesen, sondern weise eine "bis heute ungebrochene Kontinuität" auf und bleibe "weiterhin ein gesellschaftliches Problem", so der an der Universität Heidelberg forschende Geschichtswissenschaftler. Diese Kontinuität sei schon weit vor 1933 entstanden, seit dem Mittelalter gab es erkennbare Bestrebungen, eine Minderheit an den Rand der Gesellschaft zu drängen. "Die Nationalsozialisten konnten also auf etablierte antiziganistische Strukturen aufbauen", sagte Kaiser. Nur wenige Personen wie etwa Karl Jäck, seinerzeit Bürgermeister von Grötzingen, hätten zu diesem Zeitpunkt ihre Stimme gegen die Ausgrenzung von Sinti und Roma erhoben. Ansonsten sei vielerorts eine lokale Dynamik entstanden, schilderte der Referent, bei der sich die Machthaber "auf die Zusammenarbeit der Behörden, der Polizei, aber auch der Kirchen verlassen konnten". Eine unrühmliche Rolle spielten dabei nach Kaisers Erkenntnissen Wissenschaftler, deren "Rassegutachten" vielfach Grundlage der Verhaftung waren und damit Todesurteilen gleichkamen.

Keine Bestrafung der Täter

Nachdem die Familien zunächst aus ihren Wohnungen gedrängt und auf "Zigeunerplätzen" an der Neureuter Straße und am Rheinhafen verwiesen wurden, begannen 1940 die ersten Deportationen aus dem Polizeipräsidium am Marktplatz. Von den rund 200 aus Baden verschleppten Personen kehrte nach dem Krieg fast niemand mehr zurück, ebensowenig wie von den im März 1943 direkt ins Konzentrationslager Auschwitz deportierten Sinti und Roma. Aus den wenigen erhaltenen Karlsruher Akten konnte der Historiker vor allem in der Person des Gendarmen Max Regelin die treibende Kraft hinter der Verfolgung von Sinti und Roma identifizieren. "Er hat die Macht gehabt, ob einer fort kommt oder nicht", zitierte Kaiser eine Zeitzeugin und ergänzte: "Konsequenzen für seine Tätigkeit gab es zeitlebens nicht". Vielmehr sei Regelin im Entnazifizierungsverfahren als "Mitläufer" eingestuft worden.

Vorurteilen entgegen treten

Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup zeigte sich betroffen über die seinerzeitige "Perfidie in der Zusammenarbeit kommunaler Instanzen" und über von den Betroffenen als "zweite Verfolgung" empfundene schleppende Aufarbeitung nach dem Krieg: "Es darf in Politik und Verwaltung nicht zur Wiederholung kommen". Den sich bis heute fortsetzenden Stereotypen und weiterhin in Teilen der Bevölkerung grassierenden Vorurteilen müsse man eine klare Haltung entgegen setzen, appellierte das Stadtoberhaupt, denn „nie wieder – und ‚nie wieder‘ ist jetzt!“. 

Johannes Kaiser. Historiker an der Universität Heidelberg, referiert am Holocaust-Gedenktag zum Schicksal der Karlsruher Sinti und Roma

Dieser Artikel erschien in der StadtZeitung Nr. 5 am 31. Januar 202.

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