Karlsruhe: Leben und Arbeiten
Naturnahe Grünflächen
Das neue Mahdkonzept zur Förderung der Artenvielfalt
Wir mähen anders, weniger, dafür vielfältiger
Die Funktionen und Effekte von Stadtgrün sind vielfältig: Urbane Parks, Grünflächen und Gärten verbessern die Luftqualität und das Stadtklima, sie dämpfen Lärm und sind Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Die Wertschätzung der Stadtbevölkerung für Grünflächen und der Wunsch Grünflächen, natürlicher zu pflegen oder der Natur zu überlassen ist spürbar hoch.
Die Stadt Karlsruhe hat bereits viele wertvolle naturnahe Bereiche an der Alb und über 100 Hektar artenreiche Wiesenflächen, ein Erfolg der jahrzehntelangen, extensiven Pflege durch das Gartenbauamt der Stadt Karlsruhe. Heute kann ohne weiteres ausgesagt werden, dass in der Stadt Karlsruhe pro m² Wiesenfläche deutlich mehr Insekten leben, als im ländlichen Umland. So konnte das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe im Rahmen des Gemeinschaftsprojektes "STADT.WIESEN:MENSCH" nicht weniger als 130 verschiedene Wildbienenarten auf den Karlsruher Wiesen nachweisen.
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Deutschlandweit ist die Zahl der Insekten seit 1989 um drei Viertel zurückgegangen und eine Kehrtwende ist nicht in Sicht. Die Entwicklungen wie Industrialisierung der Land- und Forstwirtschaft und der Flächenverbrauch für Straßen und Baugebiete sind weiterhin ungebrochen. Umso wichtiger sind wiesenähnliche Lebensräume im urbanen Raum für Insekten und andere Kleinstlebewesen.
Zur Förderung der Biodiversität hat der Gemeinderat der Stadt Karlsruhe entschieden, mehr in die Pflege der städtischen Wiesenflächen (Wiesen, die Blütenpflanzen und einen hohen Grasanteil aufweisen) zu investieren. Das Gartenbauamt der Stadt Karlsruhe hat im Auftrag des Gemeinderates im Jahr 2020 mit einem Pilotversuch begonnen, um ein neues Mahdkonzept zur Förderung der Biodiversität zu entwickeln. Das Verständnis über die Zusammenhänge der Lebensgemeinschaften zwischen Pflanzen und Tieren sind wichtige Aspekte, die das neue Mahdkonzept der Stadt Karlsruhe mitgeprägt haben.
Die Ansprüche der einzelnen Pflanzen- und Tierarten an ihre Lebensräume sind sehr unterschiedlich. Beispielsweise bevorzugen Goldschrecken und das Heupferd hohes Grasland. Hingegen hält sich der gewöhnliche Grashüpfer eher in kurzrasigen Wiesenbereichen auf. Naturwissenschaftler haben zudem beobachtet, wie viele Vogelarten insbesondere während der Brutsaison eher auf gemähte Wiesenbereiche angewiesen sind, damit sie nach Insekten jagen können. Dies kann Einfluss auf deren Bruterfolg haben. Ähnlich wie die Tiere reagieren auch Pflanzen sehr unterschiedlich auf die Mahd.
Jeder Mahdvorgang ist immer einen Eingriff in die Natur, mit dem gewisse Tier- bzw. Pflanzenarten gefördert oder benachteiligt werden. Je mehr Strukturen mit einer Mahd erzeugt werden, desto vielfältiger werden die Lebensräume für Pflanzen und Tiere und desto stärker wird die Artenvielfalt gefördert. Dies belegen auch Aufzeichnungen aus der Zeit der Vierfelderwirtschaft um 1900. Während dieser Zeit verzeichnete die Artenvielfalt ihren Höhepunkt. Die Vierfelderwirtschaft zeichnete sich durch eine kleinflächige, verschiedenartige und wenig mechanisierte Landschaftspflege aus, die für die Förderung der Biodiversität optimale Voraussetzungen mitbrachte. Diese Überlieferungen historischer Nutzungen in der Kulturlandschaft hat das Gartenbauamt bei der Gestaltung der Mahdmuster zusätzlich mitinspiriert.
Das Gartenbauamt sieht zwei Grundmuster für die Mahd vor:
Inselmahdmuster: Inselmuster werden in vielen Kommunen praktiziert. Die Wiesenbereiche werden am Rand gemäht und in der Mitte bleiben blühende Bereiche stehen, die in der Regel mit dem nächsten Schnitt im Juni abgemäht werden. Die Inselmahd in der Stadt Karlsruhe funktioniert leicht anders, denn bei jedem Arbeitsgang werden zur Hälfte die Inselbereiche mitgemäht. Mit diesem Vorgehen bleiben über das gesamte Jahr hinweg blühende Bereiche mit Langgras als Lebensraum für die Insekten und Kleinsttiere bestehen.
Streifenmahd: Für die zweireihige Streifenmahd werden mit dem Mähgerät maschinenbreite Bahnen gezogen und nur jede zweite Bahn abgemäht. Bei jedem Mahdvorgang werden die Bahnen gewechselt, so dass während der gesamten Vegetationsperiode Wiesenstreifen mit Blütenpflanzen und mit hohen Grashalmen stehen bleiben und den Insekten und Tieren als Nektarquelle, Fluchtort oder Brutstätte dienen. Über den Winter werden diese Wiesenstreifen von Insekten, Käfern und Spinnentieren gerne als Winterquartiere genutzt.
Zu einer naturnahen Mahd gehören weitere Faktoren wie Schnittzeitpunkt, -höhe und -häufigkeit, Maschineneinsatz und Schnittgutaufnahme. Die Mahd soll vermehrt mit handgeführten Balkenmähern ausgeführt werden. Die Balkenmesser-Mähtechnik im Vergleich zu anderen verzeichnet eine deutlich geringere Tötungsrate der Insekten. Im städtischen Raum kann die Grüngutaufnahme meist nur mit Handrechen durchgeführt werden. Diese Arbeit ist zeitaufwendig und ziemlich kostspielig, insbesondere wenn das Grüngut durch Müll verunreinigt ist, welcher vor der Kompostierung aus dem Grüngut entfernt werden muss.
Bis heute existieren keine Patentrezepte, um die Erhöhung der Biodiversität auf städtischen Wiesenflächen mit Erfolg zu erzielen. Das Gartenbauamt der Stadt Karlsruhe wird deshalb die naturnahe Mahd durch eigene Beobachtungen weiterentwickeln und im Austausch mit anderen Fachleuten bleiben, um von Erfolgen anderer zu lernen.