Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 95 vom 15. Juni 2012: Zur Geschichte der Karlsruher Messe bis 1945
"… eine volksthümliche Einrichtung
…"
von Ernst Otto Bräunche
Am 2. November 1912 kündigte ein kleiner Artikel der
"Badischen Presse" an, dass sich am folgenden Tag "Moto
Phéno", das große Rätsel mit seinen staunenswerten
Leistungen", auf der Karlsruhe Messe vorstellen werde.
Mehr erfährt der neugierige Leser durch die
entsprechenden Inserate im Anzeigenteil der Zeitung.
Hier informiert eine ganze Seite unter der Überschrift
"Neuer Messplatz an der Durlacher Allee", dass die
Karlsruher Herbstmesse am Sonntag, den 3. November
eröffne und in diesem Jahr "äußerst zahlreich besetzt"
sei. Im "Vergnügungspark" lockten demzufolge 26
Schausteller die Besucherinnen und Besucher, auf der
"Verkaufsmesse" boten 29 Geschäfte ihre Ware an,
darunter auch "Filders Waffelbäckerei". Die Werbung für
"Moto Phéno" klärt auf, dass es sich hier um eine
pantominenähnliche Schau handelte, in der sich ein Mensch
kraft Selbsthypnose in eine Puppe verwandelt. "Das
geheimnisvolle Rätsel" befand sich "vis à vis der Berg-
und Talbahn".
Der Andrang bei dieser ersten Messe auf dem Messplatz an
der Durlacher Allee war entsprechend groß: am 10.
November verzeichnete sie mit 6.488 Reichsmark einen
neuen Einnahmerekord, der im folgenden Jahr sogar auf
8.341. Reichsmark gesteigert werden konnte.
Der erste Jahrmarkt
Als die erste Herbstmesse auf dem Messplatz am heutigen
Standort stattfand, konnte sie schon auf eine fast
200-jährige Geschichte zurückblicken. Der erste Jahrmarkt
hatte nämlich nicht lange nach der Stadtgründung am 2.
November 1717 stattgefunden. Er war relativ überstürzt
erst kurz zuvor mit Bekanntmachungen "über den von
seiner Hochfürstlichen Durchlaucht zu Baaden-Durlach in
Dero newen Statt Carlsruhe auf den 2. Novembris
vorhabenden newen Markt" angekündigt worden. Da aber aus
benachbarten Orten wie Bruchsal und Rastatt eher
negative Reaktionen auf den Markt kamen, wurde zunächst
kein weiterer geplant. Doch im folgenden Jahr verbreitete
sich das Gerücht, dass in Karlsruhe am 24. Februar ein
weiterer Jahrmarkt stattfinde, woraufhin vom gerade
beendeten Mannheimer Jahrmarkt offensichtlich so viele
Händler in die junge Stadt kamen, dass spontan ein
improvisierter Markt stattfand. In den folgenden Jahren
spielte sich nach diesem unerwarteten Erfolg die
zweimalige Abhaltung der Jahrmärkte im Juni und im
November ein. Der Versuch, 1774 einen dritten Jahrmarkt zu
etablieren, scheiterte zunächst, war aber später
erfolgreich. Im Jahr 1800 bat der Stadtrat um
Reduzierung auf zwei Jahrmärkte, die jeweils acht Tage
dauerten sollten. Ort der Jahrmärkte war der
Schlossplatz.
Vom Schlossplatz vertrieben
Als der Schlossplatz im Jahr 1872 neu angelegt werden
sollte, musste die Messe weichen, die schon in den Jahren
zuvor in die Kritik geraten war, da sich Bewohner am
Vorderen Zirkel darüber beschwerten, dass in den
Bogengängen ihrer Häuser Möbel und andere Gegenstände
ausgestellt wurden. Der Möbelmarkt wurde nun in die
Karlstraße, der Geschirrmarkt auf den Akademieplatz und
die Schaubuden auf den Ludwigsplatz verlegt. Diese
Trennung erwies sich schon bald als äußerst ungünstig.
Stadtrat und Bürgerausschuss befassten sich Ende 1873 mit
der Angelegenheit und beschlossen die Beibehaltung
der Messe mit einer Dauer von neun Tagen. Die Schaubuden
wurden aber wegen der Störung der Anwohnerschaft bald
auf die Schießwiese an der Ettlingerstraße verlegt.
Später folgte der ganze Markt auf das Gelände, an dem 1873
das Vierortbad und 1877 die Festhalle eröffnet wurden.
1898 wanderte die Messe auf das "Gelände zwischen
Röschwooger Bahn, Thiergartenweg und Thiergarten" (s.
Abb.), da der Festplatz, vormals Schießwiese, sich auf
Dauer als zu klein erwies. Diesen dritten Standort musste
sie allerdings nach nur vierzehn Jahren wieder räumen, als
der Karlsruher Hauptbahnhof von der Kriegsstraße vor dem
Ettlinger Tor an den damaligen Stadtrand verlegt
wurde.
Umzug auf den Messplatz an der Durlacher
Allee
Am 14. Juli 1912 stimmte der Bürgerausschuss deshalb der
Verlegung der Messe an die Durlacher Allee zu. Die Zeit
drängte, denn "um die rechtzeitige Inangriffnahme und
Fertigstellung des neuen Bahnhofplatzes und seiner
Zufahrt-Straßen zu ermöglichen, soll schon die
Spätjahrsmesse dieses Jahres auf dem neuen Platze an der
Durlacher Allee stattfinden." Der Platz schien deshalb
so geeignet, weil er an den Straßenbahnlinien
Rheinhafen-Durlach und Hauptbahnhof-Schlachthof lag.
Für die erforderlichen Baumaßnahmen, darunter auch die
Verlegung der 1903 am alten Standort gebauten Halle, die
der Unterbringung der Messbuden und während der Messe
als Wirtschaftsraum diente, wurden 100.300 Reichsmark
veranschlagt. Das Geld sah man gut angelegt, da die Messe
immer Gewinn erzielt habe und die Stadt auch "indirekte
Vorteile" von ihr habe, "da diese immer noch eine
volksthümliche Einrichtung ist und auf die Bevölkerung
der näheren und weiteren Umgebung der Stadt eine
bedeutende Anziehungskraft ausübt."
Mit dem neuen Messplatz an der Durlacher Allee hatte die
Karlsruher Messe ihren bis heute beibehaltenen
Standort. 1921 wurde die 1890 erlassene Messordnung
modifiziert, die beiden Messen begannen nun anstatt am
ersten Sonntag im Juni und November jeweils schon am
Samstag und dauerten nun zehn statt neun Tage. Den
Zuschlag für die Schaumesse erhielten bevorzugt Geschäfte,
die Neuheiten anboten, die Verkaufsbuden wurden
versteigert. Für Unmut unter den Schaustellern und
einige Artikel in den Karlsruher Zeitungen sorgte 1928 das
erstmalige Verbot des Bezirksamts, am Fronleichnamstag
zu öffnen. Der sozialdemokratische "Volksfreund"
wies in Erwiderung auf einen Bericht der Zentrumszeitung
"Badischer Beobachter" darauf hin, dass es eine solche
Regelung in Pforzheim z. B. nicht gebe und der
Fronleichnamstag ja eigentlich ein fröhlicher Feiertag
sei, der z. B. auch katholische Vereine nicht hindere,
am Abend gesellige Zusammenkünfte mit Musik zu
veranstalten. Es blieb dennoch bei der Entscheidung des
Polizeipräsidiums.
"Bewerber jüdischer Abstammung" nicht mehr
zugelassen
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933
wirkte sich zugleich auf die Messe aus. Auf Antrag der
NSDAP-Stadtratsfraktion beschloss der widerrechtlich
nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März
umgebildete und nun nationalsozialistisch dominierte
Stadtrat schon am 12. April, dass künftig "Bewerber
jüdischer Abstammung" nicht mehr zugelassen werden.
"Dieser Ausschluss erstreckt sich auch auf die
Beschäftigung von Personen jüdischer Abstammung als
Stellvertreter, Angestellte, Mitarbeiter, Artisten,
Gehilfen oder Mitspieler." Stadtrat Fritz Argus wies in
der Stadtratssitzung darauf hin, dass "unter den
Mietern von Holzbuden auf 30 Verkäufer 12 Juden" gekommen
seien. "Die deutschen Geschäfte hätten die Messen nicht
mehr beschickt, weil sie keine Umsätze mehr erzielen
könnten." Die Schausteller mussten nun eine Erklärung
unterschreiben, dass sie nicht jüdischer Abstammung
waren und auch keine Juden beschäftigten. Am 15. Mai
teilte das zuständige Hochbauamt mit, dass 15 Bewerber
jüdischer Abstammung von der Zulassung ausgeschlossen
worden waren, aber: "Eine merkliche Zusatz-Anfrage von
Christen ist vorerst nicht bemerkbar, bei späteren Messen
dürfte sie aber eintreten."
Offensichtlich war diese antisemitische Aktion der Karlsruher NSDAP aber nicht mit Berlin abgestimmt, denn am 16. August 1933 hob der badische Innenminister Karl Pflaumer diese Regelung auf, denn: "Die erwähnte Beschränkung des freien Messe- und Marktbesuchs ist - wie die wiederholte Vorstellungen auswärtiger diplomatischer Vertretungen zeigen - überdies geeignet, die Beziehungen des Reiches zu den fremden Mächten zu stören." Ein Ausschluss sei nur möglich, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht sei. Daraufhin bekräftigte der Stadtrat am 26. Oktober seine Entscheidung vom April. Die Staatsaufsicht (Bezirksamt, Landeskommissär) drängte aber weiterhin auf eine Rücknahme, was zu einer erneuten Befassung des Stadtrats führte. Der NSDAP-Kreisleiter und Stadtrat Willi Worch rechtfertigte die Entscheidung mit dem Hinweis darauf, dass das Warenhaus Tietz Fotografien von Hitlerjungen ohne Erlaubnis ausgestellt habe und dass die Warenhäuser auch Christbäume führten. "Er frage sich, was die Juden damit zu tun hätten. Es sei leider so, dass nicht in allen Städten gleichmässig gegen die nichtarischen Personen vorgegangen werde."
Da das Innenministerium aber nicht locker ließ, flüchtete sich der Stadtrat nach einer Anfrage in München in Nachahmung des dortigen Verfahrens am 14. Juni 1934 in die Ausrede, dass alle Plätze vergeben seien und Juden aus Platzmangel nicht zugelassen werden könnten. Auch eine Anordnung des Reichswirtschaftsministeriums, jüdische Schausteller zuzulassen, beeindruckte den Stadtrat nicht. Unter Berufung auf ein Schreiben des Reichsverbandes ambulanter Gewerbetreibender im Reichstand des Deutschen Handels (RAGD), blieb die Stadt bei ihrer Haltung. Der an einer Wiederzulassung der jüdischen Konkurrenz aus nahe liegenden eigennützigen wirtschaftlichen Motiven nicht interessierte RAGD hatte geschrieben: "Das Benehmen der jüdischen Händler in letzter Zeit zeigt, dass diese noch nicht zugelassen werden können, wenn die Ruhe und Ordnung auf den Messen uns Märkten nicht gefährdet werden soll." Erst als der Polizeipräsident die Stadt am 28. Dezember 1934 ultimativ darauf hinwies, dass eine weitere Beschlussfassung des Stadtrats nicht in Frage komme, da es sich um eine Reichsvorschrift handele, lenkte man ein, wies aber darauf hin, dass sich für die Frühjahrsmesse 1935 gar keine jüdischen Interessenten gemeldet hätten. Bei der Herbstmesse waren aber wieder acht jüdische Schausteller zugelassen Doch schon im folgenden Jahr umging man die Reichsvorschrift wieder. Es wurden nämlich nur so viele Buden zugelassen wie "arische Bewerber voraussichtliche auftreten, so dass bezüglich der Messbuden die Ablehnung in jedem Fall mit Platzmangel begründet wird, niemals aber mit der Erklärung, dass nichtarische Bewerber keine Plätze erhalten können." Dieser Umgang mit Juden reiht sich nahtlos ein in die sich steigernde Ausgrenzung und Verfolgung der Juden im Dritten Reich und zeigt, wie der nationalsozialistische Antisemitismus auf lokaler Ebene rasch in die Tat umgesetzt wurde.
Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Herbstmesse 1939 wegen der Frontnähe zu Frankreich nicht durchgeführt. 1940 wurde sie auf den Markthallenplatz an der Kriegsstraße beim heutigen Staatstheater und den Skagerrak-(Engländer-)Platz (Schaubuden) verlegt, da man die Verantwortung für einen Verbleib auf dem Meßplatz wegen andauernden Fliegergefahr und der in der Nachbarschaft des Messplatzes befindlichen Versorgungsbetriebe (Gaswerk u. a.) nicht mehr übernehmen könne. 1943 wurden die Messen gänzlich eingestellt.
Dr. Ernst Otto Bräunche
Der Autor ist Leiter von Stadtarchiv & Historische Museen der Stadt Karlsruhe
Die Publikation "Die Karlsruher Mess", hrsg. vom Stadtarchiv Karlsruhe und dem Marktamt der Stadt Karlsruhe durch Ernst Otto Bräunche, anlässlich 100 Jahre Messe auf dem Messplatz an der Durlacher Allee, ist im Info Verlag Karlsruhe erschienen, 71 S., 83 Abb., € 9,80
Werbeanzeige für Moto Phéno in der Badischen Presse vom 2. November 1912.
Die in Straßburg ansässige Waffelbäckerei Joseph Filder (Foto um 1912) gehörte zu den Geschäften, die auf der ersten Herbstmesse an der Durlacher Allee dabei waren. 1919/20 zog Filder nach Karlsruhe um und nimmt heute in fünfter Generation immer noch an der Karlsruher Mess teil. Foto: Marktamt
Plan von 1898 mit dem rot eingegrenzten Gelände des neuen Messplatzes, der sich westlich des heutigen Stadtgartens etwa vom heutigen Tiergartenweg bis südlich des 1913 eröffneten Hauptbahnhofs ersteckte. StadtAK 3/B29
Die letzte Messe vor Ende des Zweiten Weltkriegs fand 1943 auf dem Skagerrakplatz (heute wieder Engländerplatz) statt. Foto: Marktamt