Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 66 vom 18. März 2005
Verteidigung der Heimatfront
Zivile Luftschutzmaßnahmen in Karlsruhe zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg
Karlsruhe gehörte als grenznahe Stadt zu den Städten, die im Ersten Weltkrieg vor andern aus der Luft bombardiert wurden. Der erste Luftangriff fand zwei Tage vor dem 200. Jahrestag der Stadtgründung am 15. Juni 1915 statt. Dabei waren 29 Todesopfer und 58 Verletzte zu beklagen. Karlsruhe war als Sitz zahlreicher Militärdienststellen und -einrichtungen ein bevorzugtes Ziel der feindlichen Luftangriffe. Diese galten aber auch den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) und dem Eisenbahnknotenpunkt an der Strecke Mannheim-Straßburg.
Unterschätzte Gefahr - unzureichender Schutz
Trotz einiger Vorsichtsmaßregeln trafen diese neuartigen Kriegshandlungen eine relativ unvorbereitete Bevölkerung. Nur wenige Tage vor dem Angriff hatte die Stadtverwaltung bekannt gegeben, dass auf dem Rathaus und auf den DWM angebrachte Motorsirenen, zwei Dreiklangpfeifen im Gaswerk II und im E-Werk am Rheinhafen sowie die Dampfpfeifen der Brauerei Sinner in Grünwinkel Alarm geben würden, wenn sich feindliche Flugzeuge der Stadt näherten. Bei Alarm solle man sich sofort in die nächstgelegenen Häuser begeben. Trotz dieser Warnungen war die Gefahr aber offensichtlich unterschätzt worden. Es waren zwar alle militärischen Sirenen sofort betätigt worden, die zivilen hatten aber durch einen Übermittlungsfehler erst vor der zweiten Angriffswelle der insgesamt 25 französischen Flugzeuge warnen können. Gerade dabei waren die meisten Opfer zu beklagen, da sich viele Menschen auf den Straßen und Plätzen drängten. Ein Bericht hob hervor, dass bei Beachtung aller Schutzmaßregeln weitaus weniger Opfer zu beklagen gewesen wären. Als direkte Konsequenz ordnete die Polizeidirektion an, sofort nach dem ersten Sirenenwarnton alle Haustüren aufzuschließen, um Passanten Fluchtmöglichkeiten in die Keller zu bieten, die als Schutzräume hergerichtet werden sollten.
Der verlustreichste Luftangriff des Ersten Weltkrieges
Nach den Erfahrungen vom 15. Juni 1915 wurde die Bevölkerung verstärkt mit Plakaten und Flugblättern über das Verhalten bei Luftangriffen aufgeklärt. Als die Stadt am 22. Juni 1916 zum zweiten Mal bombardiert wurde, konnten aber alle Maßnahmen nicht verhindern, dass dieses Mal 120 Menschen ums Leben kamen und 169 verletzt wurden. Ziel der Flugzeuge war wiederum der Hauptbahnhof. Doch bei diesem bis dahin folgenschwersten Angriff in der kurzen Geschichte des Luftkrieges richteten sich die Piloten offensichtlich nach einem alten Stadtplan, auf dem nur der alte Bahnhof an der Kriegsstraße eingezeichnet war. Die Bomben trafen die Menschen, die nach dem Fliegeralarm aus dem westlich der späteren Oberpostdirektion vor dem Ettlinger aufgestellten Tierschauzelt des Zirkus Hagenbeck flüchteten. Unter den Opfern waren deshalb 71 Kinder, die die Nachmittagsvorstellung besuchten.
Bis zum Kriegsende erfolgten noch zwölf weitere Angriffe: einer 1917, die restlichen 1918. Im letzten Kriegsjahr wurden die häufigen Alarme auch zu einer "starken Belastungsprobe für die Nerven der Bevölkerung", zumal wenn wie im Juni des Jahres "Tag für Tag oder Nacht für Nacht Fliegeralarm ist und die Leute stundenlang in den Kellern sitzen müssen." Insgesamt fanden 168 Menschen, von denen 28 nicht aus Karlsruhe stammten, bei Luftangriffen den Tod, 344 wurden z. T. schwer verletzt. Die Bevölkerung war 188 Mal durch die Sirenen gewarnt worden, allein 100 Mal im letzten Kriegsjahr, dem Jahr mit den meisten Angriffen. Einige ebenfalls betroffene Städte erkundigten sich aufgrund der frühen Angriffe nach den Karlsruher Erfahrungen.
Beginn der Organisation des zivilen Luftschutzes
In den ersten Jahren nach dem Ende des Krieges war der Luftschutz kein Thema in Karlsruhe, doch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre setzten erneute Bemühungen um die Organisation des Luftschutzes ein. Am 26. Mai 1926 war in Paris ein Luftabkommen geschlossen worden, das die Bestimmungen des Versailler Vertrages gelockert und zumindest den zivilen Luftschutz in Deutschland freigegeben hatte. Der daraufhin gegründete Verein Deutscher Luftschutz e. V. wandte sich Ende September 1927 an die Stadt mit der Bitte um Überlassung der Unterlagen über die im Ersten Weltkrieg erfolgten Luftangriffe.
Die Aktivitäten dieses Vereins, so die Publikation einer
Denkschrift, fanden nun auch in der Karlsruher Presse
Resonanz, die wiederholt Artikel über den Luftschutz und den
Gaskrieg veröffentlichte. Begründet wurden die Aktivitäten
mit der Notwendigkeit, Vorsorge zu treffen für einen nicht
auszuschließenden neuen Krieg. Dieser treffe Deutschland
aufgrund des Verbotes militärischer Maßnahmen besonders, so
dass man wenigsten den zivilen Luftschutz stärken müsse. Im
Landtag beantragte die Deutschnationale Volkspartei die
Bildung von Landeschutzämtern, die sich speziell mit
Aufklärung über und Abwehrmaßnahmen gegen Gasangriffe
befassen sollten.
Unterstützt wurde diese Initiative durch eine Eingabe des
Badischen Kriegerbundes und des Deutschen Offiziersbundes.
Offensichtlich sahen auch die Behörden Handlungsbedarf, denn
am 13. Juni 1932 fand eine erste Luftschutzübung der
Karlsruher Polizei statt, die einen Angriff auf einen
Industriebetrieb annahm, den man in der Telegrafenkaserne
ansiedelte. Zur Abwehr erzeugte man eine künstliche
Nebelwolke mit einer Salpterschwefelkondensation, die sich
einem Zeitungsbericht zufolge von Daxlanden bis zum Rhein
ausdehnte.
Ende 1932 wurde in Karlsruhe eine Ortsgruppe des Deutschen Luftschutzverbandes und ein Luftschutzbeirat gegründet, der am 6. Dezember unter Leitung von Polizeipräsident Paul Haußer im Bürgersaal des Rathauses tagte. Ausgangspunkt waren die von der Reichsregierung erlassenen Richtlinien für einen Luftschutz der Zivilbevölkerung. Daraufhin leitete auch die badische Regierung bzw. das zuständige Innenministerium die Organisation des Luftschutzes durch die Polizeibehörden in die Wege.
Gegenstimmen zum Luftschutz
Kritische Stimmen gab es aber auch noch. Ein Artikel des Zentrumsorgans "Badischer Beobachter" endet mit der Schlussfolgerung: "Keine doch nur unvollständigen Schutzmaßnahmen, die nur eine untragbare finanzielle Volksbelastung ohne weiteren Schutz bedeuten würden, aber unerbittlichen Kampf überall gegen alle finsteren Mächte, die zu Volksverhetzung und Krieg treiben." Der Schreiber ahnte sicher nicht, dass die "Volksverhetzer" und "Kriegstreiber" unmittelbar vor der Machtübernahme standen. Kurz vor der Reichstagswahl am 5. März veranstaltete der Landesverband Baden der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit gemeinsam mit der Deutschen Friedensgesellschaft, der Frauensektion der SPD, dem Reichbund der Kriegsgeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen, dem Volkskirchenbund, dem Kartell der Christlichen Gewerkschaften und den Naturfreunden einen Vortragsabend mit der Berner Professorin Gertrud Woker, der die beabsichtigten Maßnahmen kritisch hinterfragte.
Der Landesverband Baden der Internationalen Frauenliga veröffentlichte auch ein Schreiben an die badischen Landtagsabgeordneten, in dem schwerste Bedenken gegen den Ausbau des Luftschutzes erhoben wurden, der die Bevölkerung nur verunsichere. Vor allem an den Schulen solle jede Luftschutzpropaganda unterbleiben.
1933: Luftschutz als Gebot der Stunde
Nach dem 5. März 1933 waren solche kritischen Äußerungen nicht mehr möglich. Die Ortsgruppe des Deutschen Luftschutzbundes forderte öffentlich das Verbot von Veranstaltungen wie der vom 28. Januar, da solche Äußerungen das Gemeinwohl der Bürgerschaft gefährde. Nur wenig später hielt der Deutsche Luftschutzbund am 11. Mai 1933 einen ersten Probealarm mit Verdunklungsmaßnahme als Luftschutzübung in Karlsruhe ab, der zahlreiche weitere folgten. Für möglich hielt man neben Angriffen mit Spreng- und Gasbomben auch den Abwurf von Bakterien. Der Luftschutz wurde "das Gebot der Stunde" und die "Forderung der Nation", so ein Aufruf des Reichsluftschutzbundes.
Ende 1934 fand eine Luftschutzausstellung in der Ausstellungshalle am Festplatz statt, die Reichsstatthalter Robert Wagner am 30. Oktober eröffnete. Auch nachdem die nationalsozialistische Regierung am 26. Juni 1935 unter Verletzung der Bestimmungen des Versailler Vertrages mit dem Luftschutzgesetz die Grundlage für eine Luftabwehr schuf, wurden die Bemühungen um den zivilen Luftschutz in bisherigem Umfang weitergeführt, der Luftschutz wurde zur Pflicht. Es folgten nun sogar unangekündigte Luftschutzübungen. In den Schulen fanden Fliegerprobealarme statt, wobei die Schüler und Schülerinnen durch einen Kurzvortrag des Luftschutzobmanns oder des Schulleiters über Notwendigkeit und Bedeutung des Luftschutzes aufzuklären waren. "Weiterhin ist die Schuljugend unter dem Leitwort ‚Jugend im Luftschutz' aufzufordern, am 20. Mai [1936] sich für die Mitgliederwerbung für den RLB [Reichsluftschutzbund] einzusetzen, dadurch, dass sie bei Eltern, Verwandten und Bekannten für den Eintritt in den RLB werben."
Luftschutzübung und Ernstfall
Die Stadt wandte nun auch verstärkt Mittel für den Luftschutz auf, sie stiegen von 2.144 RM im Jahr 1933 auf 80.385 im Jahr 1938 an. Noch kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges fand am 31. August 1939 eine Luftschutzübung statt. "Der Führer" meldete am folgenden Tag: "Die Karlsruher Bevölkerung hat einmütig gezeigt, dass sie gewillt ist, die Stadt luftschutzbereit zu machen." Dennoch stellte Oberbürgermeister Hüssy fest, dass bei Kriegsausbruch eine der dringlichen Aufgaben die Verbesserung bzw. die Schaffung von Luftschutzeinrichtungen gewesen sei.
Da bis zum Juni 1940 gerade eine Stunde Fliegeralarm gegeben worden war, schien die Gefahr eines Luftangriffs zunächst relativ gering zu sein. Aber auch in Karlsruhe wurde aus den Luftschutzübungen der Vorkriegszeit bald bitterer Ernst und mit den ersten Toten wuchsen die Anstrengungen zur Verbesserung des Luftschutzes. Neben privaten Schutzräumen gab es 10 vom städtischen Hochbauamt während des Krieges erstellte Bunker, einen Stollen in Durlach an der Grötzinger Straße, eine Anzahl öffentlicher Luftschutzräume im Hochgestade in Knielingen und Daxlanden und rund 30 Deckungsgräben mit 40-50 cm starken Betonwänden sowie über 100 behelfsmäßige öffentliche Schutzräume in Kellern. All diese Maßnahmen konnten nicht verhindern, dass in Karlsruhe am Ende des Krieges 1.745 Tote und 3.508 Verletzte zu beklagen waren. Die Fackeln des Krieges, die Deutschland nach Europa getragen hatte, waren als Bomben auf Karlsruhe und die meisten anderen deutschen Städte zurückgefallen.
Dr. Ernst Otto Bräunche, Leiter des Instituts für Stadtgeschichte Karlsruhe
Der "Badische Beobachter" berichtete am 12. Mai 1933 in Wort und Bild über die erste Luftschutzübung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme.
Drei Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen wurde in Karlsruhe der Ernstfall geprobt. Fotos: Stadtarchiv