Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 65 vom 17. Dezember 2004: Der Privilegienbrief von 1715 für die Siedler in Karlsruhe
(Blick in die Geschichte Nr. 65 vom 17. Dezember 2004)
Freiheiten, Privilegien und Vergünstigungen
Der Privilegienbrief von 1715 für die Siedler in Karlsruhe
"Das ideelle Leitprojekt der Karlsruher Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas greift die große Idee des Stadtgründers auf, der den Bürgern im Jahr 1715 in einem Privilegienbrief weit reichende Rechte zubilligte. Die Bürgerinnen und Bürger Europas sind eingeladen, mit den Karlsruhern gemeinsam den Europäischen Stadtbrief 2010 zu schreiben und damit ein Dokument für die gemeinsame Zukunft in Europa zu formulieren. Welche Werte verbinden die Menschen in Europa bereits, mit welchen Widersprüchen müssen sie lernen zu leben? Mit welchen Problemen sieht sich die europäische Stadt des 21. Jahrhunderts konfrontiert? Wie kann Sie darauf reagieren? Gemeinsam werden Bürgerschaft und Kulturschaffende, Wissenschaftler und Juristen in Karlsruhe wie auch in dezentralen Workshops in verschiedenen Städten Europas diesen Stadtbrief entwerfen und im Jahr 2010 mit den Gästen diskutieren und überdenken:" So steht es in der Kurzfassung der Karlsruher Schrift zur Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas vom Oktober 2004. Mit dem Faksimile des Privilegienbriefs, der im Generallandesarchiv aufbewahrt wird, und dessen sprachlicher Aktualisierung will der "Blick in die Geschichte" zur breiteren Kenntnis dieses Textes beitragen und zu einer Auseinandersetzung mit ihm anregen.Leicht gekürzte und sprachlich aktualisierte Fassung
der Stadtprivilegien von 1715
von Claus Temps, Kulturamt Stadt Karlsruhe
Der Markgraf zu Baden und Hochberg etc. hat beschlossen, unweit seiner Residenzstadt Durlach ein neues Schloss errichten zu lassen, das den Namen Carols-Ruhe tragen soll. Er möchte in der durch Gottes Gnade verliehenen Friedenszeit die Ruhe dieses Ortes als Ausgleich zu seinen schweren Regierungsgeschäften genießen. Gleichzeitig beabsichtigt er jedoch, die Attraktivität des Ortes durch Ansiedlung von Gewerbebetrieben, Manufakturen und Handwerken zu steigern. Daher hat er angeordnet, eine Kurzfassung aller Freiheiten, Privilegien und Vergünstigungen, die denen gewährt werden, die sich in der Nähe des geplanten Carols-Ruhe ansiedeln und hier Häuser errichten wollen, zu veröffentlichen und über die Grenzen hinaus bekannt zu machen. Die Privilegien im Einzelnen: I. Von dem Recht zur Ansiedlung und dem Genuss dieser Freiheiten darf niemand wegen seiner Religion ausgeschlossen werden. Vielmehr sollen alle, die einer der im Heiligen Römischen Reich verbreiteten Religionen angehören, aufgenommen und in ihrem Handel und Wandel gefördert werden. II. Zur Wahrung des Rechtsfriedens der neuen Ansiedler richtet der Markgraf eine eigene Gerichtsbarkeit ein. Bei widersprechenden Entscheidungen der Gerichtsbarkeit ist das Oberamt in Durlach zuständig. Der Markgraf garantiert, dass jeder in den Genuss einer schnell handelnden und unparteiischen Justiz kommt. III. Der Markgraf stellt jedem neu ankommenden Einwohner unentgeltlich ein Grundstück für die Errichtung eines Wohnhauses zur Verfügung. Die Flächengröße richtet sich nach Beruf und Familienstand. Im Bedarfsfalle kann auch Fläche für Hof, Scheune, Stallungen und Garten überlassen werden. IV. Der Markgraf stellt neu ankommenden Einwohnern für die Errichtung ihrer neuen Häuser kostenlos Bauholz und Sand zur Verfügung. V. Die geringen Kosten für das Brechen und den Transport der Steine aus den Durlacher Steinbrüchen muss jeder neu ankommende Einwohner selber tragen. VI. Aus diesem Grund stimmt der Markgraf einer Ansiedlung nur dann zu, wenn der Ansiedlungswillige über genügend Eigenkapital verfügt. VII. Um ein alle ansprechendes und einheitliches Ortsbild zu sichern, wird der Markgraf ein durchgehendes Gestaltungsmodell erlassen, nach dem sich die neuen Einwohner bei der Errichtung ihrer Gebäude auszurichten haben. VIII. Jeder Neuansiedler hat das Recht, die für seinen Neubau erforderlichen Bauleute, die er für die Preiswertesten hält, selbst auszuwählen. IX. Der Markgraf gewährt allen künftigen Einwohnern Carols-Ruhes zur finanziellen Entlastung angesichts der Baukosten und zur Erleichterung des beruflichen Starts auf 20 Jahre eine Befreiung von Einquartierungen, Lasten, Steuern und Abgaben. |
X. Verstirbt ein neuer Einwohner vor Ablauf der Frist von 20 Jahren, so kommen seine Kinder und Erben bis zum Ablauf der Zeit in den Genuss der Befreiung. XI. Die Befreiung auf 20 Jahre bezieht sich auch auf Zölle, Auflagen und Verbindlichkeiten für die beweglichen Sachen, Handelsprodukte und andere Waren, die sie mitbringen. XII. In gleicher Weise sind die neuen Einwohner auf 20 Jahre von der in Carols-Ruhe in Handel und Wandel zu entrichtenden Umsatzsteuer befreit. XIII. Den neuen Einwohnern ist gestattet, ihr Geschäft nicht nur in Karlsruhe zu betreiben, sondern ihre Waren und Produkte auch in Durlach, in Mühlburg und auch in anderen Fürstentümern und Ländern anzubieten und zu verkaufen. Sie dürfen dort keine höheren Abgaben leisten als andere Einwohner des jeweiligen Landes. XIV. Der Markgraf verfügt, dass der Einkauf der für die Hofhaltung erforderlichen Waren, soweit sie in Karlsruhe erhältlich sind, zunächst vor Ort bei den neuen Einwohnern erfolgen soll. XV. Die neuen Einwohner und ihre Erben und Nachkommen sind dauerhaft von der Leibeigenschaft und allen Dienstverpflichtungen befreit. XVI. Falls jemand vor Ablauf der Frist von 20 Jahren seinen Wohnsitz verlagern möchte, so ist er befugt, das von ihm erbaute Haus und alles, was dazu gehört, unter Abzug des ihm kostenlos überlassenen Grundstücks und Baumaterials zu verkaufen. XVII. Die in der Gewährung der Vergünstigungen zum Ausdruck kommenden Grundgedanken sollen auch nach Ablauf der Frist von 20 Jahren das Verhältnis des Markgrafen zu den künftigen Einwohnern Carols-Ruhes bestimmen. Insbesondere haben die Einwohner keine unverhältnismäßigen Auflagen oder Verpflichtungen zu erwarten. XVIII. Es ist der erklärte und wahrhafte Wille des Markgrafen, die gewährten Freiheiten, Privilegien, Immunitäten und Ausnahmen eher auszuweiten als zu beschränken. Er beabsichtigt, Vorschläge eines jeden Einwohners zur Verbesserung des Carols-Ruher Gemeinwesens oder auch zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger anzuhören und umfassend umzusetzen. Auch den künftig sich in Carols-Ruhe niederlassenden Bürgern und deren Familien sichert der Markgraf seinen Schutz und die Gewährung der Privilegien und Wohltaten sowie Schutz vor erschwerenden Hindernissen und Anfeindungen zu. Ferner bekundet er seine Absicht, dass die Verantwortlichen den Einwohnern Carols-Ruhes mit Freundlichkeit begegnen und ihnen jede Unterstützung gewähren mögen. Dieses Dokument haben Ihre Hochfürstliche Durchlaucht mit eigenhändiger Unterschrift und beigedrucktem Siegel bestätigt. Carolsburg, 24. September 1715 |
Privilegienbrief, Blatt 1
Privilegienbrief, Blatt 2
Privilegienbrief, Blatt 3
Privilegienbrief, Blatt 4
Privilegienbrief, Blatt 5
Privilegienbrief, Blatt 6