Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 65 vom 17. Dezember 2004: Beamte sind schließlich auch nur Menschen
Intrigen aus den Akten
Wie könnte es anders sein. Überall und in allem Geschehen, im gesellschaftlichen Leben so auch in den Amtsstuben, sind einzelne Menschen am Werk, mit ihren Stärken und Schwächen. Wer in amtlichen Akten forscht, findet zwar Ergebnisse, erfährt aber in der Regel nicht, wer sie zu Wege gebracht hat. Und dennoch - hin und wieder gewinnen in historischen Aktenstücken quasi en passent handelnde Personen Konturen, werden persönliche Spannungen zwischen den Akteuren sichtbar. Zwei solche Funde zu Persönlichkeiten, die für die Karlsruher Stadtgeschichte von großer Bedeutung waren sollen hier präsentiert werden.
Friedrich Weinbrenner
Von ihm ist eine unerfreuliche Episode zu erzählen. Wir wissen, Weinbrenner ging die gestalterisch befriedigende Ausführung der Bauten über alles, und die kostete nicht wenig Geld. Der Staat indessen war knapp bei Kasse. So konnten gelegentliche Reibereien zwischen dem Oberbaudirektor und den Beamten des vorgesetzten Finanzministeriums nicht ausbleiben. Diese gipfelten beim Bau der Evangelischen Stadtkirche in einer Reihe unrühmlicher Auseinandersetzungen.
Trotz mehrfacher Warnung blieb Weinbrenner auch weiterhin seinen baulichen Ansprüchen treu. Es kam zum Eklat: Das Finanzministerium löste kurzerhand das fürstliche Bauamt auf und richtete zum Ersatz "die Kommission für die Berichtigung der in den Bauplänen etwa noch wegzulassenden kostspieligsten Anordnungen" ein. Es war ein Dreiergremium, mit Referendär Ludwig als Vorsitzenden, Finanzrat Bernhard - beide vom Finanzministerium - sowie eben Weinbrenner. Die Baumeister Frommel, Fischer und Arnold vom bisherigen Bauamt saßen nur beratend dabei.
Weinbrenner, zu Recht verärgert, formulierte eine
zwölfseitige Eingabe an den Großherzog. Er könne, so
schreibt er, "ohnehin mit dem Herrn Geheimen Referendär
Ludwig wegen seinen vielfachen Anmaßungen und der mir
angethanen Beleidigung, wo er mir ohne höhere Legitimation
... die mir während 16 Jahren gnädigst anvertraut gewesene
bauamtliche Insiegel wegnehmen und sie sogar ausschleifen
ließ, niemals mehr in meinem Fache wegen Baulichkeiten in
eine Konkurrenz treten".
Kurz vor dem Protestschreiben Weinbrenners war es in der
Baukommission zum endgültigen Zerwürfnis gekommen, denn
Weinbrenner war zu den Kommissions-Sitzungen bewusst nicht
erschienen. Indessen waren für die Genehmigung von
Bauanträgen stets die Unterschriften aller drei Mitglieder
vorgeschrieben, und so blieben auch eilige Vorgänge
unerledigt liegen. Ludwig und Bernhard mussten sich zudem,
wie sie einmal bitter vermerkt haben, ständig "Vorwürfe,
Anmaßungen und beleidigende Ausdrücke" des Oberbaudirektors
anhören.
Nun ließen sich die beiden einmal ein anderes Verfahren einfallen. Weinbrenner hatte wieder an der Sitzung nicht teilgenommen, und die Genehmigung für die Einrichtung der Alexanderburg in Bischofsheim eilte. Da ließ Finanzrat Bernhard den Amtsboten Kammerer kommen und erteilte ihm den Auftrag, die Stellungnahme des Baudirektors zuhause einzuholen. Kammerer also erschien wie befohlen am 18. März 1814 morgens vor Weinbrenners Haustür, die Uhr schlug 6. Weinbrenner war seinem Bett entstiegen und gerade dabei, sich anzuziehen. Da kam seine Tochter mit einem Aktenumschlag und Plänen unter dem Arm ins Schlafgemach herein mit der Ankündigung, er habe die Zeichnungen und Schriftstücke sogleich zu unterschreiben, der Taglöhner stehe draußen und müsse die Unterlagen gleich wieder mitnehmen. Noch einigermaßen gefasst, ließ daraufhin Weinbrenner dem Boten ausrichten, er solle nach zwei Stunden wiederkommen, bis dorthin sei alles durchgesehen.
Aber nach kaum einer Stunde stand Kammerer erneut vor der Tür, und berichtete, Finanzrat Bernhard müsse die Beurteilung des Oberbaudirektors nachher in einer Sitzung vortragen. Jetzt kochte es in Weinbrenner erst richtig. Kurz entschlossen verweigerte er die Unterschrift und schrieb wenig später dafür an Finanzrat Bernhard: "Durch diese eilfertige Geschäftsführung, bei der die Hauptsache übergangen wird und die Scientische und Artistische Beurteilung, zu der ich meinen Namen hergeben soll, nur als Nebensache behandelt werden will, konnte ich den Baukommissionsbeschluss nicht gutheißen, und ich muss mir auch für die Zukunft alle ähnlichen Anmaßungen über das Kunstfach in solange verbitten, bis mir Seine Königliche Hoheit der Großherzog höchst gnädig die artistische Direktion des Baufachs allein anvertrauen."
Schließlich verzeichnete Weinbrenner in dieser Auseinandersetzung zumindest einen Teilerfolg. Die Baukommission wurde auf Befehl des Fürsten nur noch mit den Baubeamten besetzt, das Finanzministerium behielt aber die "Auf und Nachsicht".
J. G. Förderer Edler von Richtenfels
In den Jahren der Stadtgründung sorgte dieser allgemein gebildete, wenngleich etwas abenteuerliche Mann am Durlacher Hof für reichlich Furore. Seit 1709 setzte der alles daran, in Baden-Durlacher Dienste zu kommen und versprach, die Einkünfte der Markgrafschaft ohne Mehrbelastung der Untertanen allein durch geeignete staatslenkende Maßnahmen ins Ungemessene zu steigern - es war die Idee des aufkommenden Merkantilismus. Zu den entsprechenden Vorschlägen gehörten die Einrichtung von Manufakturen und Handelsniederlassungen, Geldbeschaffung durch Kreditgeschäfte, Eröffnung von Salinen und Sauerbrunnen, Steigerung der Einnahmen aus Domänen und Waldungen.
Richtenfels widmete dem Markgrafen dazu eigens eine staatsökonomische Schrift, in der er die Anwendung der neuen Handlungsprinzipien darlegte. Ihr Titel: "Politischer Lustgarten Eines Regenten/ Darein ein mit klarem Wasser springender Brunnen gezeiget wird/ daraus Er sich selbsten Macht/ und seinen Untertanen Reichtum schöpfen kann". 1712 befand sich Richtenfels immer noch als Kammer- und Hofrat in Diensten des Fürsten von Fürstenberg in Donaueschingen, hielt aber an dem Ziel fest, am baden-durlachischen Hof eine maßgebliche Stelle einzunehmen.
Die altgedienten, bedächtigen Durlacher Kammerräte rümpften die Nase über die Vorschläge des Richtenfels. Nach ihrem Verständnis waren das nichts als unausgegorene Neuerungen. Richtenfels hingegen gab sich alle Mühe, beim Markgrafen aufkommende Zweifel zu zerstreuen, indem er ihn ermutigte, seinen Beamten gegenüber entschlossener als bislang aufzutreten: "Den Dienern muss man zeigen, dass sie Fürsten zwar unmaßgeblich, nicht aber apodictice zu raten, und am allerwenigsten zu befehlen haben. Sonst bilden sie sich ein, als ob sie ihren Herrn und Meister übertreffen würden" (8. Juni 1713) oder: "Fürsten und Herrn müssen bei allen occurrentien sans façon zeigen, dass Ihnen ihre Räte nicht zu befehlen, sondern nur unvorgreiflich zu raten haben." Derweil wurden die persönlichen Beziehungen zwischen Richtenfels und dem Markgrafen immer enger, 1714 fungierte der Fürst bei einem Töchterchen des Richtenfels gar als Taufpate.
Endlich, im September 1714, forderte der Markgraf den wartenden Richtenfels auf, möglichst bald in seine Dienste zu kommen. Und vier Monate später, am 22. Januar 1715, trat Richtenfels sein Amt als Kammerprokurator an. Allein zuständig in allen finanziellen und wirtschaftlichen Fragen, besaß er jetzt zwar das volle Vertrauen seines Herrn, doch das Verhältnis zu den Hofbeamten war weiterhin getrübt. Waren die Hofbeamten anfangs nur eifersüchtig gewesen, so zeigten sie bald nur noch blinde Verachtung. Die wurde noch verstärkt durch das bekanntermaßen hochfahrende, überhebliche Auftreten des Richtenfels. Wie die Akten belegen, trieb er sein Spiel sogar mit den dienstgefälligen Schreibern der Protokolle. So bemerkte er etwa, wenn sie auf einer Seite zwischen zwei Textabschnitten einen Teil frei gelassen und mit einem geschlungenen Federstrich überbrückt hatten. "Wozu dient diese unbestellte Kunst-Mahlery. Man muss die Augen aufmachen oder man setzt eine Brille auf."
Die Hofräte wollten Richtenfels nur allzu gern zu Fall bringen, aber wie? Zunächst dichteten sie ihm Unterschlagungen an, dann monierten sie, er sei nie am Platz, vernachlässige seine Amtsgeschäfte, und zu allem gebe es Unregelmäßigkeiten bei seinen privaten Finanzen. Doch damit war das Vertrauen des Markgrafen in seinen Kammerprokurator noch nicht gründlich genug zu erschüttern.
Im April 1716 indes - kaum ein Jahr war seit der
Grundsteinlegung für die Sommerresidenz im Hardtwald
vergangen - hatte der Hofrat sein Ziel erreicht. Richtenfels
wurde vorerst unter Hausarrest gestellt - und beschwerte
sich beim Markgrafen in einem Brief, der es wirklich in sich
hat. Zu allem gelangte der dummerweise auch noch in die
Hände des Hofrats, der dazu lakonisch meinte, Richtenfels
sei damit dem "fürstlichem Respekt und Hoheit allzu nahe
gekommen".
Der Anstoß erregende Teil in dem Brief, außer dem Anfang,
ist vorsichtshalber in lateinischer Sprache formuliert der
Fürst konnte Latein, die Hofräte hingegen mussten sich die
Passagen erst übersetzen lassen: "Allein die große Sünde des
Landes haben uns solch Staat, und Zeiten über den Hals
geführt, das Einem wahrlich angst und bange dabei wird.
Einerseits hat Kirkes Liebestrank den Hirten [gemeint den
Markgrafen] verführt, hält ihn angekettet und umgarnt ihn
mit unentwirrbarer Verstrickung; und vergeblich sucht sich
freizumachen, wen diese Verlockung befallen hat. Denn immer
wird es Vogelleim und Magie geben, von denen ersterer dem
Festkleben, letzterer der Verhexung dient, und beide dazu,
Blendung und Verwirrung der Vernunft, und zwar der
Überlegung und Unterscheidung, zu bewirken. Andererseits
leben törichte Wiederkäuer von Gesetzen in glänzenden
Verhältnissen, ganz so wie die Ärzte, die, wenn sich ein
Übel zum Krebsgeschwür gewandelt hat, es verstehen, sich so
lange durch fortgesetzte Besuche zu bereichern, bis der
nackte Leichnam ins Grab gesenkt wird. Kurz: Die Behauptung
soll genügen, dass alle Arten der Zwietracht wahnwitzig
wüten, gegen die es an einigermaßen kluger Umsicht mangelt.
Dabei ist es doch Aufgabe des Hirten, das Vieh zu scheren,
nicht, ihm die Haut abzuziehen! usw".
Richtenfels wendet sich am 25. Mai erneut schriftlich an
den Markgrafen, legt sein persönliches Soll und Haben offen.
Doch da stehen außerdem Sätze wie, der Fürst sei wohl seiner
Räte nicht mehr mächtig, oder: die pure verzweifelte
Rachgier habe er, Richtenfels, sich wegen "der Besorgung des
herrschtl. Fisci auf den Hals gezogen", er denke nicht
daran, sich dem "Mutwillen seiner Feinde" schutzlos
auszusetzen.
Schließlich wird es auch dem Markgrafen zu viel. Zwar sagt
er seinem "gewesenen Hofrat und KammerProkurator" zu, er
werde ihm unverzüglich das ihm zustehende Recht verschaffen,
doch für seine "ganz ohngeziemende, wider Pflicht und Ehre
laufenden Bedrohungen" müsse er sich verantworten.
Vielsagend wird Richtenfels an seinen dem Landesherrn "bis
in seinen Tod" geschworenen Eid erinnert, ebenso an den
schuldigen Respekt. Zugleich wird er ermahnt, "keine
Heimeligkeiten zu offenbaren" - Richtenfels musste an sich
halten, um nicht allzu Brisantes preiszugeben; er wusste
offensichtlich mehr, als er sagen durfte.
Der Fall Richtenfels war so bedeutend, dass man nach seiner Vertreibung vom Durlacher Hof, gegen die Regel, große Teile des Schriftverkehrs, der ihn betraf, aus den Akten entfernen ließ. Das Titelblatt der Dienerakte Richtenfels im Generallandesarchiv verweist nämlich auf ehemals enthaltene Schriftstücke aus den Jahren 1710-1715, nach denen man darin heute allerdings vergeblich sucht. Bedenkt man die Vorgänge insgesamt, so ist zu vermuten, dass Richtenfels wohl derjenige gewesen ist, der die Finanzierung so mancher Lieblingsidee des Markgrafen - vielleicht gar den Bau des Schlossturms im Hardtwald samt seinen Bewohnerinnen - erfolgreich hinter dem Rücken der Durlacher Hofgremien organisiert hatte.
Dr. Gottfried Leiber, Stadtoberbaudirektor a.D.