Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 127 vom 26. Juni 2020
Aufbruch in das mobile Zeitalter
Die bewegten Anfänge des Tankstellenbaus in Karlsruhe
von Franz Arlart
Die erste Überlandfahrt von Bertha Benz im Jahr 1888 von Mannheim nach Pforzheim leitete einen revolutionären Wandel für die bis dahin nur eingeschränkte und noch nicht motorisierte Individualmobilität ein. Um den steigenden Bedarf an Kraftstoff für die nach der Jahrhundertwende beginnende Automobilität stillen zu können, war die Errichtung eines Netzes möglichst gleichmäßig über Stadt und Land verteilter Betankungseinrichtungen notwendig. In dieser ersten Phase des Tankstellenbaus wird um eine Identitätsfindung dieses gänzlich neuen Bautypus gerungen. Bemerkenswert erscheint dabei die gestalterische Vielschichtigkeit, mit der sich diese frühen Tankstationen im Stadtbild darstellten, bis Ende der 1920er Jahre die Großstadttankstelle mit weit ausladendem, Zapfsäulen überdeckendem Dachtragwerk zum Symbol der Moderne avancierte. Besonders eindrucksvolle Beispiele der bewegten Historie dieser Bauaufgabe finden sich in der jüngeren Karlsruher Stadtgeschichte.
Apotheken, Kolonialwarenläden und Bürgersteigpumpen
Während der sukzessiven Verbreitung des Automobils in den ersten
beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts dienten zunächst
Kanister, oftmals auch Kannen mit Ligroin (Waschbenzin), zur
Versorgung des Kraftstoffbedarfs. Diese konnten in Apotheken,
Hufschmiedewerkstätten, Kolonialwarenläden, Bäckereien oder
anderen Ladengeschäften erworben werden.
Allgemein stand dem Automobil in seinen Anfangsjahren ein
gewisses Unbehagen aufgrund der bisher nicht bekannten, für
damalige Verhältnisse schnellen Fortbewegungsweise im
Straßenverkehr gegenüber. Dies wirkte sich auch auf den
Tankvorgang aus, der aus der Öffentlichkeit verbannt, entweder
in der privaten Garage, in städtischen Hinterhöfen oder an
Holzbuden am Rand von Ortschaften stattfand.
In den Vereinigten Staaten von Amerika war bereits kurz nach der
Jahrhundertwende die sogenannte Bürgersteigpumpe, eine dezentral
an öffentlichen Straßen und Plätzen ortsfest aufgestellte
handbetriebene Zapfanlage mit unter der Erde befindlichem
Kraftstofftank entwickelt worden, die den Tankvorgang erheblich
erleichterte und die Brand- bzw. Explosionsgefahren der nun
geschützten Tanks verringerte. Diese im Vergleich zu den Fass-
und Kanistertankstellen deutlich komfortableren
Betankungsmöglichkeiten fanden in Deutschland erst etwa ab dem
Jahr 1923 Einzug in das Stadtbild, annähernd zeitgleich mit dem
Aufkommen der ersten Tankhäuser. Für Karlsruhe sind etliche
Anträge für die Aufstellung solcher einfachen Pumpanlagen aus
der Zeit der Weimarer Republik ausfindig zu machen. So entstand
beispielsweise im Jahr 1925 nahe der Kreuzung Gebhard-Straße /
Marie Alexandra-Straße eine Dapolin-Bürgersteigpumpe, die im
Volksmund auch als "eiserne Jungfrau" bezeichnet wurde.
Betankung eines Automobils an einer "Bürgersteigpumpe" 1925. Foto: Bildarchiv IEK Uni Stuttgart
Zeichnerische Darstellung der Technik einer "Bürgersteigpumpe". Quelle: Staatsarchiv Freiburg Signatur B 717/2 Nr. 1218
Die ersten Tankstellen - zwischen expressionistischem Kiosk und traditionellem Häuschen
Anfang der 1920er Jahre ließ die Olex-Mineralölgesellschaft in
Deutschland die ersten mit baulich umschlossenem Kassenhaus
versehenen Tankstellen errichten. Dabei wurden die Zapfpistolen
und technischen Pumpvorrichtungen zumeist innerhalb des Gebäudes
angebracht oder in dessen Außenwände möglichst unscheinbar
integriert. Die Gestalt dieser Mikroarchitekturen ist oftmals
überraschend und eindringlich bildprägend. Durch eine
offensichtlich auffällige architektonische Gestaltung sollte
eine einprägsame und von weitem sichtbare Darstellung der
Tankstellen erreicht werden. Diese Feststellung traf unter
anderem auf den im Jahr 1923 errichteten und in der Literatur
als erste deutsche Tankstelle bezeichneten expressionistischen
Kioskbau auf dem Hannoveranischen Raschplatz zu.
Diesen nicht zuletzt werbewirksamen Bauten standen eine Vielzahl
von eher unscheinbaren Tankhäusern gegenüber, die sich in ihrer
formalen Darbietung an der Umgebungsbebauung orientieren und
harmonisch in das Stadtbild einfügten. Hierzu zählte auch der im
Jahr 1926 in Karlsruhe durch das ortsansässige Architekturbüro
Bonath & Reh entworfene Bau an der Einmündung der York-Straße
(heute Yorckstraße geschrieben) in die Kaiser Allee. "Karlsruhe
tritt dadurch als erste badische Stadt zu den ca. 30 deutschen
Großstädten, in welchen die Olex Tankhäuschen bereits errichtet
hat", so berichtete die Badische Presse in ihrer Morgenausgabe
am 6. Februar 1926 über den ersten Tankpavillon in der
Residenzstadt. Diese Begeisterung wurde jedoch nicht von der
Allgemeinheit geteilt. So ist eine extreme Skepsis gegenüber
dieser bis dahin noch unbekannten Bauaufgabe in archivalisch
überlieferten Briefen der Anwohnerschaft an die Bauverwaltung
festzustellen. Nicht zuletzt dadurch lässt sich begründen, dass
der insgesamt durch den Traditionalismus beeinflusste Bau
lediglich mit einer unterhalb des Dachgesimses befindlichen
Aufschrift "Olex Tankstelle" auf seine Funktion hinwies.
Formal-stilistisch kann das in Massivbauweise errichtete, mit
einigen historisierenden Elementen versehene Tankhaus der
Heimatschutzbewegung zugeteilt werden. Markant stechen die
beiden aus Eisen gefertigten ornamentalen Giebelähren bzw.
Firstblumen in Erscheinung. Aufgrund eines kontinuierlich
zunehmenden Automobilaufkommens ließ die Olex im Jahr 1930 das
kleine Tank- und Transformatorenhaus zu einer Großtankstelle in
Stahlbauweise mit Überdachung der Tankplätze umbauen. Im Jahr
1950 beabsichtigte die BP als Eigentümerin einen weiteren Ausbau
der Tankstation. Aufgrund erheblicher Bedenken der
Polizeibehörde und des Bauamtes an einem nicht mehr zu
bewältigenden Verkehrsaufkommen wurde das Vorhaben abgelehnt.
Bereits fünf Jahre später erfolgte die Räumung und der Abriss
des Baus.
Die erste, 1926 eröffnete Tankstelle Ecke Yorckstraße/Kaiserallee. Foto: Staatsarchiv Darmstadt
Die moderne städtische Großtankstelle
Die Vertreter der klassischen Moderne der 1920er Jahren zeigten
eine außerordentliche Begeisterung für die Konstruktionsweisen
und die damit verbundene Zweckform von technischen Apparaturen.
Insbesondere die zur Fortbewegung entwickelten Maschinen, wie
das Dampferschiff oder das sich immer mehr in der Gesellschaft
verbreitende Automobil wurden zum Vorbild visionärer und
wegweisender Architekturen. Somit verwundert die Bedeutung der
dem Kraftwagen nahestehenden Bauaufgabe Tankstelle für die
progressiv denkenden Architekten jener Zeit nicht.
Die Ursprünge der städtischen Großtankstelle mit einem großzügig
verglasten Kassenhaus und einem weit ausladenden, kontinuierlich
dünner werdenden Flugdach mit schlanken Stützen liegen in den
USA. Die dort mit teils noch stark historisierenden Elementen
gestalteten Stationen wurden von den dem Ideengut des Bauhauses
verpflichteten Architekten in Europa weiterentwickelt. Zum Ende
der Weimarer Republik entfaltete sich die Tankstelle somit zum
avantgardistisches Großstadtsymbol und Sinnbild für das "Neue
Bauen".
Die 1929/30 im Stil des "Neuen Bauens" errichtete Tankstelle am Stephanplatz. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 41/68b
Unter diesen Gesichtspunkten errichteten die Rhenania Ossag Mineralölwerke nach den Plänen des Städtischen Hochbauamts unter Leitung von Friedrich Beichel im Jahr 1929/30 einen eingeschossigen Pavillonbau auf dem Karlsruher Stephanplatz. Dieser von Wald-, Amalien- und Karlstraße umschlossene, dreiecksförmige Flachbau beherbergte neben einer im Untergeschoss befindlichen Bedürfnisanstalt, ein Konfektionsgeschäft mit großflächiger Schaufensterfront und einer beachtenswerten Großtankstelle. Bis in die 1970er Jahre wurde der rückseitige Teil des Baus von der Shell AG als Tankstation betrieben, ehe das dünne, weit auskragend geschwungene Flugdach mit seinen zwei Betonstützen abgerissen wurde. Bis heute befindet sich eine Apotheke in den in Skelettbauweise errichteten Verkaufsräumlichkeiten. Insgesamt erscheint die organische Formgebung dieses wegweisenden Baus bereits als ein Vorgriff auf die durch die Stromlinienform beeinflussten Tankstellenbauten der Nachkriegsmoderne in Deutschland.
Franz Arlart, M.Sc. (Arch.), Doktorand am Institut für Entwerfen und Konstruieren, Uni Stuttgart