Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 123 vom 21. Juni 2019
Karlsruhe hat gesprochen
Der letzte Schritt zur Gleichberechtigung beim Ehenamen
von Volker C. Ihle
Mit der Verkündigung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 bekam das
Prinzip der Gleichberechtigung erstmals Verfassungsrang. Artikel
3 schrieb vor: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Damit
war der Weg frei, alle Ungerechtigkeiten insbesondere im Ehe-
und Familienrecht zu beseitigen. Ausgerechnet im Namensrecht
blieb die Gleichberechtigung jedoch bis 1991 strittig. Das ist
umso erstaunlicher, weil viele Frauen die zwangsweise Aufgabe
des Nachnamens als eine erhebliche Einschränkung ihres
Persönlichkeitsrechts wahrnahmen und dies auch öffentlich zum
Ausdruck brachten.
Die Thematik ist in zweifacher Hinsicht interessant. Abgesehen
davon, dass es sich hier um die letzte gravierende, nicht
verfassungsgemäße Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
bezüglich der Gleichberechtigung handelt, stand am Beginn und am
Ende der hürdenreichen Entwicklung jeweils eine Person mit engem
Bezug zu Karlsruhe. Historisch ist zudem bemerkenswert, welche
Beharrlichkeit erforderlich war, um diesen letzten, scheinbar
kleinen Schritt zu Ende zu bringen.
Der steinige Weg vom Grundgesetz zur Umsetzung
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes waren politikerfahren.
Sie hatten daher in weiser Voraussicht den
"Gleichberechtigungsartikel" um einen weiteren Artikel ergänzt,
der das Parlament verpflichtete, alle Gesetze, die diesem
Grundsatz widersprechen, bis spätestens zum 31. März 1953
anzupassen. Denn noch immer galt z.B. der sogenannte
"Gehorsamsparagraph" (§ 1354 BGB) von 1896, der dem Ehemann das
Recht gab, in allen Angelegenheiten des Ehelebens die
Entscheidung zu treffen. Der nachfolgende Paragraph schrieb
außerdem vor, dass bei Eheschließungen die Frau den
Familiennamen des Mannes "erhält".
Den Abgeordneten der Koalitionsregierung unter Konrad Adenauer
muss es schwergefallen sein, vom althergebrachten Familienbild
Abschied zu nehmen. Vier Monate vor Ablauf der Frist lag ein
Gesetzesentwurf vor, der allerdings weiterhin am
Alleinentscheidungsrecht des Mannes festhielt. Um Zeit zu
gewinnen, wollte die Regierung die Frist zur Rechtsanpassung um
zwei Jahre hinausschieben, wofür eine Verfassungsänderung
erforderlich gewesen wäre. Das scheiterte an der Ablehnung von
SPD und KPD. Erst 1957 gelang es dem Bundestag nach heftigsten
Auseinandersetzungen das Gleichberechtigungsgesetz zu
verabschieden. Das männliche Entscheidungsrecht in allen
ehelichen Angelegenheiten entfiel weitgehend. Die Namensregelung
blieb.
An der Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes hatte Erna
Scheffler maßgeblichen Anteil. Bereits auf dem Juristentag 1950
kämpfte sie für die Umsetzung der Verfassungsvorgaben, was auch
zum Leitbild ihrer zwölfjährigen Tätigkeit als (damals einzige
weibliche) Bundesverfassungsrichterin von 1951 bis 1963 wurde.
Sie schuf nicht nur die Grundlage für die Gleichberechtigung,
sondern setzte sie in weiten Teilen auch um. Im Namensrecht
blieb die Ungleichheit jedoch bestehen, obwohl Erna Scheffler
1960 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, "dass die Familie
über Jahrtausende ungefährdet bestanden hat, ohne dass es
überhaupt so etwas wie Familiennamen gab". Immerhin wurde Frauen
zugebilligt, nach der Heirat den Geburtsnamen als "Zusatz"
führen zu dürfen.
Der nächste bedeutsame Schritt war das Ehe-Reformgesetz von
1976, durch das die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung
in der Ehe abgeschafft wurde. Beim Namensrecht wurde man sich
wieder nicht einig. Nach zahlreichen Debatten und dem Einsatz
des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat, durften
Eheleute schließlich entscheiden, ob sie den Namen des Mannes
oder den der Frau als gemeinsamen Ehenamen führen wollen.
Allerdings galt noch immer, dass im Zweifelsfall der Name des
Mannes zum Familiennamen wird. Außerdem galt die Regelung nur
für Neu-Ehen.
Der letzte formale Schritt
Über die fehlende Gleichberechtigung im Ehenamensrecht wurde
regelmäßig politisch und juristisch diskutiert. Doch alle
Anläufe verliefen im Sand bis Udo Hochschild, damals Amtsrichter
in der Universitätsstadt Tübingen, sich der Sache widmete.
Hochschild, Spross einer alteingesessenen Durlacher Familie
verbrachte seine Kindheit und Schulzeit in Karlsruhe, bevor er
in Heidelberg Jura studierte. Am Amtsgericht Tübingen wurde ihm
als Neuling der unbeliebte Bereich der Personenstandssachen
übertragen, zu dem auch die Überprüfung standesamtlicher
Entscheidungen gehört. Sein Schlüsselerlebnis war die Ablehnung
von "Heike" als Vornamen. Hochschild fragte sich, wie stark der
Staat in persönliche Angelegenheiten eingreifen soll und darf.
Dann bekam er einen Fall vorgelegt, bei dem ein englisches Paar
nach britischem Recht in Deutschland heiratete und beide ihren
Geburtsnamen behalten durften. Spätestens jetzt war er sich
sicher, dass eine bürgerfreundlichere Regelung noch lange nicht
die "öffentliche Ordnung gefährdet", wie weite Kreise in Politik
und Justiz befürchteten und deshalb am Zwang für einen
einheitlichen Familiennamen festhielten.
Hochschilds Interesse am Namensrecht war geweckt. Was er im
Studium als Selbstverständlichkeit gelernt hatte, schien ihm
inzwischen fragwürdig. Die Vorschrift zum Führen eines
gemeinsamen Familiennamens (und zwar dem des Mannes!) wurde
durch das Preußische Landrecht 1794 eingeführt, und dann auf
ganz Deutschland übertragen. Sie diente insbesondere der
polizeilichen Überwachung und Wehrerfassung. Doch im Laufe der
Zeit hatte sich die Regelung zu einer Art "Naturgesetz"
entwickelt.
Bei nächster Gelegenheit schickte der damals 42jährige
Hochschild zwei passende Vorlagen in seine Heimatstadt an die
Richterkollegen am Bundesverfassungsgericht und bat um Prüfung.
Er vertrat die Meinung, dass es keine sachliche Rechtfertigung
gibt, Ehepaare zur Führung eines gemeinsamen Ehenamens per
Gesetz zu zwingen, weshalb die Regelung verfassungswidrig sei.
Damit weckte das Thema bundesweites Interesse. Deutschland
größte Wochenzeitung meinte schon, Hochschild "könnte das
Ehenamensrecht der Bundesrepublik aus den Angeln heben" und
schlussfolgerte, dass sein Beschluss so "glasklar" sei, dass das
Bundesverfassungsgericht gar nicht anders könne, als
zuzustimmen. Doch im März 1988 wurde sein Vorlagebeschluss für
unbegründet erklärt und abgewiesen. Von den acht
Verfassungsrichtern folgten zwei seiner Argumentation, die
übrigen konnten sich nicht auf eine gemeinsame Begründung
einigen. Für viele Betroffene war dies eine große Enttäuschung,
zumal für die Bearbeitung des Falles eine Frau als
Berichterstatterin zuständig war; die einzige Richterin am
Senat.
Zu diesem Zeitpunkt lag dem Bundesverfassungsgericht ein
weiterer Fall aus Tübingen vor, bei dem es um den gesetzlichen
Automatismus geht, nach dem bei Uneinigkeit der Name des Mannes
Ehename wird. Dieser Beschluss war unbearbeitet liegen
geblieben.
Udo Hochschild ließ nicht locker und schob eine vierte Vorlage
zum gleichen Sachverhalt nach. Er ließ auch nicht locker als die
Berichterstatterin des Bundesverfassungsgerichts ihn
ausdrücklich darum bat, den neuen Vorlagebeschluss zurück zu
nehmen, weil die Sache doch mit den ersten beiden Vorlagen
entschieden worden sei. Erst als Hochschild auf die geänderte
Argumentation hinwies, wurden die weiteren Vorlagen bearbeitet.
Wie üblich, gab der Bundesminister der Justiz (und Karlsruher
Bundestagsabgeordnete) Klaus Kinkel eine Stellungnahme ab. Die
siebenseitige Antwort lässt sich kurz zusammenfassen: An der
Verfassungsmäßigkeit des bestehenden Rechts gibt es keine
Zweifel.
Die Verfassungsrichter, jetzt mit Helga Seibert als
Berichterstatterin, kamen zu einem anderen Schluss. "Die
automatische Übernahme des Mannesnamens", verkündigten sie am
15. März 1991, "sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar". In der
umfangreichen Begründung machten sie klar, dass traditionelle
Arbeitsteilungen eine Ungleichbehandlung nicht
rechtfertigen.
"Endlich!" kommentierte die Presse, und tausende von Paaren
dürften dem zugestimmt haben. Die gesetzliche Umsetzung erfolgte
am 1. April 1994. Seither darf jeder Ehepartner seinen
Geburtsnamen behalten, wie es zuvor schon in den meisten Ländern
der Welt üblich war. Der aus Karlsruhe stammende Richter Udo
Hochschild hatte sein Ziel der Gleichberechtigung im
bürgerlichen Recht (BGB) erreicht.
Professor Volker C. Ihle, Leiter Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, Wissenschaftliche Leitung International Office an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe