Karlsruhe: Stadtgeschichte
Blick in die Geschichte Nr. 102 vom 21. März 2014
Das Fabrikgelände an der Sophienstraße um 1880.
Foto: Stadtarchiv
Das Fabrikgelände an der Sofienstraße, 1895.
Foto: StadtAK 8/PBS oXIVf 33
Das neue Fabrikgelände an der Siemensstraße (heute Junker-und-Ruh-Straße) 1920.
Foto: StadtAK 8/PBS XIVf 45
Karlsruher Industriegeschichte
Die Firma Junker & Ruh
von Manfred Fellhauer
Junker & Ruh zählt zu den Karlsruher industriellen
Großunternehmen, deren Anfänge zum Beginn der
Hochindustrialisierung in den 1860er Jahren
zurückreichen. Der Betrieb war zugleich auch der erste,
der den Wandlungsprozessen der industriellen
Produktion am Ende der Zeit des Wirtschaftswunders nach
dem Zweiten Weltkrieg in Karlsruhe zum Opfer fiel.
Die Gründung im Jahr 1870
"Ich muss wirken, solange es Tag ist" lautete der
Wahlspruch des jungen Handwerksgesellen Karl Junker,
der 1862 nach Karlsruhe zur Nähmaschinenfabrik Haid
& Neu kam. Schon 1868 ließ er sich als selbständiger
Handwerksmeister nieder und betrieb "als Spezialität die
Fabrikation von Nähmaschinen". Seine Werkstätte befand
sich im Keller des Hauses seiner Schwiegereltern in der
Sophienstraße. Aber schon bald trat mit August Ruh, der
ein Stickereigeschäft betrieb und nebenbei
amerikanische Singer-Nähmaschinen verkaufte, ein
weiterer Konkurrent auf den Plan. Bei einer Gewerbemesse
auf dem Karlsruher Schlossplatz lernten sich Karl Junker
und August Ruh kennen, schlossen sich zusammen und
gründeten am 1. Februar 1870 die Firma Junker & Ruh.
Es war der Beginn einer erfolgreichen
Unternehmensgeschichte. Karl Junker übernahm die
technische, August Ruh die kaufmännische Leitung des
Betriebs.
Bis 1870 haben 100 Nähmaschinen mit dem Namen Junker die
kleine Fabrikationsstätte im Wohnhaus in der
Sophienstraße verlassen, 1895 waren es bereits über eine
halbe Million "Junker & Ruh Nähmaschinen". In der
wirtschaftlichen Hochkonjunktur nach dem gewonnenen
Krieg von 1870/71 gegen Frankreich, hatten die mutigen
Jungunternehmer 1872 ein 9.200 m² großes Gelände im
Gewann Sommerstrich westlich der Maxaubahn und südlich
der Sophienstraße erworben. Mit der Inbetriebnahme einer
dort errichteten eigenen Gießerei machte sich das
Unternehmen unabhängig von den Lieferungen von
Gussteilen aus Frankreich und konnte zudem andere deutsche
Nähmaschinenfabriken damit beliefern. Die
erfolgreiche Produktionsausweitung verbunden mit
dem Bau von weiteren Fabrikhallen zog eine stetige
Zunahme der Beschäftigten nach sich, deren Zahl sich bis
1895 auf etwa 600 erhöhte. 1896 entstanden ein
Emaillierwerk für Öfen und Gasherde sowie der Frontbau
entlang der Sophienstraße. Ein weiterer Neubau an der
Lessingstraße erfolgte 1898.
Ausweitung der Produktpalette
Um 1879 leitete eine Anregung aus den Vereinigten
Staaten einen neuen Abschnitt der Firmengeschichte ein.
Karl Junker wurde von seinem in die USA ausgewanderten
Bruder auf den Dauerbrandofen aufmerksam gemacht. Die
Folge war die Entwicklung des "Junker &
Ruh-Cirkulations-Füllofens", ein verbesserter
Dauerbrandofen, dessen Herstellung 1895 bereits eine
Stückzahl von 65.000 erreichte. Abnehmer fanden sich auf
der ganzen Welt.
Ende des 19. Jahrhunderts verwendete man in Deutschland
im Haushalt Gas nur zu Beleuchtungszwecken. Kochen mit
Gas wurde als Luxus betrachtet. Die Entwicklung des
"Patent-Doppel-Brenners" durch Junker & Ruh bewirkte
eine Revolutionierung in den deutschen Küchen. Die
Wärme der Gasflamme konnte jetzt direkt auf den Kochtopf
übertragen und mit Gas sparsam gekocht werden. Aus dem
Gaskochapparat des Jahres 1893 wurde nach
entsprechender technischer Weiterentwicklung der
"Junker & Ruh-Gasherd". Ab 1904 begann die Produktion
des Familiengasherdes, auf dem alle Speisen zubereitet
werden konnten, die bislang nur mit Hilfe des
Kohlenherdes hergestellt wurden. Die
Produktionszahlen stiegen weiter, jedoch ließen die
räumlichen Verhältnisse eine Erweiterung der Fabrik an
der Sophienstraße nicht mehr zu.
Die neue Produktionsstätte an der
Bannwaldallee
1910 erwarb Junker & Ruh, inzwischen standen die Söhne
und Schwiegersöhne der Gründer in der Verantwortung, ein
46.000 m² großes Gelände an der Bannwaldallee von der
Gesellschaft für elektrische Industrie AG, die
wesentlich am Bau des ersten Karlsruher
Elektrizitätswerkes am Rheinhafen 1899/1900 beteiligt war.
Hier entstand ein modernes Werk mit eigener Gießerei und
Energiezentrale, dessen 63 m hoher Schornstein zum
Wahrzeichen von Junker & Ruh und der Industriestadt
Karlsruhe werden sollte. Emaillieröfen und
Werkzeugmaschinen standen jetzt in großen Hallen und
hellen Arbeitsräumen, so die Firmenfestschrift von 1953.
Heute wissen wir, wie menschenunfreundlich
Fabrikhallen jener Zeit waren. 1912 erfolgte der Umzug
der etwa 700 Arbeiter und Arbeiterinnen von der
Sophienstraße in die Siemensstraße 1, die 1951 in
Junker-und-Ruh-Straße umbenannt wurde. Vom Guss bis zur
Fertigmontage wurde alles im eigenen Werk hergestellt.
Technische Weiterentwicklungen führten zur
Herstellung von Großkochgeräten und zu Sondergeräten wie
Back- und Bratöfen, Grills, Kochkessel, Anrichten und
Wärmeschränken. Die alte Fabrik wurde bis auf den Bau an
der Sophienstraße abgerissen.
Zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte die Karlsruher
Wirtschaft unvorbereitet getroffen. Erst als aufgrund
des länger als erwartet andauernden Kriegs auf
Kriegswirtschaft umgestellt wurde und zunehmend Frauen
in reinen Männerberufen eingesetzt wurden, entspannte
sich die Lage. In geringem Maße profitierte Junker &
Ruh von der Kriegsproduktion. Im Zeitraum 1. Januar bis
31. Mai 1917 tätigte Junker & Ruh z. B.
Heereslieferungen, der größte Teil waren
Waffenlieferungen, für 829.000 Mark.
Mit dem Verlust von Elsass-Lothringen nach dem Ersten
Weltkrieg ging auch ein zuvor großes Absatzgebiet,
insbesondere für Nähmaschinen verloren. Die Besetzung
des Ruhrgebiets Anfang 1923 durch Frankreich,
Deutschland war mit den im Versailler Vertrag
auferlegten Reparationszahlungen in Verzug geraten,
verschlechterte die wirtschaftliche Lage weiter. Die
Banknotenpressen arbeiteten Tag und Nacht. Die schon
zuvor schwache Mark sank rasch ins Bodenlose. Erst mit
Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 endete die
Zeit der Inflation. Dennoch musste z. B. Haid & Neu
noch im Sommer 1924 die Produktion vorübergehend
stilllegen, 1.800 Männer und 550 Frauen wurden
arbeitslos. Bei Junker & Ruh war die Lage nicht so
dramatisch, sicher eine Folge der mehrschichtigen
Produktpalette.
Im Oktober 1926 berichtete das Arbeitsamt, dass die
größten Karlsruher Unternehmen, zu denen auch Junker
& Ruh gehörte, wegen der guten Auftragslage neues
Personal einstellen würden. Die Belegschaft war in dem
zwischenzeitlich in eine Aktiengesellschaft
umgewandelten Unternehmen auf 1.500 Arbeiter und
Angestellte angewachsen. Der Schwerpunkt lag seit Jahren
auf den Koch- und Heizgeräten. Im Zuge der
Weltwirtschaftskrise 1929, die die Arbeitslosigkeit
in Karlsruhe auf Rekordhöhe ansteigen ließ, gab Junker
& Ruh 1930 die Herstellung von Nähmaschinen auf bzw.
beschränkte sich auf die Herstellung einer
Spezial-Schuhreparaturmaschine und nahm
Elektroherde ins Produktionsprogramm auf. Die Firma
nahm nun einen enormen Aufschwung mit großen
Verkaufsniederlassungen in Hamburg, Köln, Berlin,
München, Wien, Breslau, Paris und Rotterdam. Die Weltfirma
Junker & Ruh produzierte außerdem in Werken in Sao
Paulo, Mailand und Turin sowie dem "Schwesterwerk" in
Graudenz an der Weichsel.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs der, anders als 1914
beim Ersten Weltkrieg, in Karlsruhe keine
Begeisterungsstürme hervorrief, veränderte die
Arbeitsmarktlage schlagartig. Durch Einberufung zum
Heeresdienst trat eine Verknappung an Arbeitskräften
ein, wodurch lebenswichtige Betriebe und solche mit
kriegswirtschaftlichen Aufgaben in Bedrängnis
gerieten. Junker & Ruh bekam Ende 1939 zahlreiche
Aufträge zur Lieferung von Großküchen an die Marine und
Anfang 1941 einen Auftrag über 3.600 Öfen für
Luftschutzräume und Baracken. Wie im Ersten Weltkrieg
mussten auch jetzt wieder Waffen hergestellt werden. Dies
erforderte einen hohen Bedarf an Arbeitskräften.
Angesichts der immer größer werdenden Personalknappheit
sahen sich die "Bedarfsbetriebe" veranlasst,
umfangreiche Anträge auf Zuteilung von "ausländischen
Zivilarbeitern" zu stellen. Am 30. Juni 1944 waren bei
Junker & Ruh in Karlsruhe 1.729 Menschen beschäftigt,
darunter 47 Kriegsgefangene und 330
Zwangsarbeiter.
Vom Neubeginn der Produktion zur
Stilllegung
Die Luftangriffe der alliierten Streitkräfte im September
1942, im September und Dezember 1944 legten über die
Hälfte des Werkes in Trümmer. Was übrig blieb, wurde zur
vermeintlichen Rettung nach Thüringen geschafft, wo es
der Sowjetunion in die Hände fiel. Die in Karlsruhe noch
vorhandenen Werkseinrichtungen dienten den
französischen Besatzungstruppen als
Panzerreparaturwerkstätte oder wurden nach Frankreich
abtransportiert. Die ausländischen Fabriken waren ebenso
verloren wie die europäischen Vertriebsstellen. Nur 30
Arbeitnehmer waren 1945 in Karlsruhe noch verblieben.
Der Wiederaufbau der Produktionsstätten dauerte bis
1953 und belastete das Unternehmen stark. Zwar gewann
man mit innovativen Produkten wie dem vollgesicherten
Gasherd, der Sicherheit in die Küche brachte, der
Dunst-Abzugshaube für die Küche, dem Elektroherd und
Großkücheneinrichtungen neue Marktanteile und
erschloss mit einem gefragten Elektrokleingeräteprogramm
wie z. B. dem Raumheizlüfter "Pustefix" und einer
Kaffeemühle mit automatischer Deckelverriegelung
völlig neuen Märkte. Dennoch geriet Junker & Ruh 1954
in eine finanzielle Schieflage. "Massenentlassungen
bei Junker & Ruh" titelte die "Badischen Allgemeine
Zeitung" vom 2. Oktober 1954. 400 Arbeitnehmer erhielten
mit der Lohntüte ihre Entlassung. Ursachen waren ein
bisher nicht gekannter Preisdruck durch die immer stärker
werdende Konkurrenz und eine unternehmerische
Fehleinschätzung. Man hatte sich für die Sommersaison
besonders stark auf das Propangas-Geschäft verlegt. Die
außerordentlich ungünstigen Witterungsverhältnisse
bewirkten aber, dass der Absatz dieser Geräte weit hinter
den Erwartungen zurückblieb. Erst 1959 gelang es der
Firma, wieder Gewinne zu erzielen. 1961 wurde aus der
Aktiengesellschaft wieder eine GmbH mit einem Kapital
von vier Millionen, das 1964 auf 14 Millionen aufgestockt
und von einer Frankfurter Bank und einem Münchener
Unternehmen gehalten wurde.
Das weitere Schicksal der Firma Junker & Ruh ist ein
besonders augenfälliges Beispiel des Strukturwandels
der Wirtschaft, der in den 1960er Jahren einsetzte.
Kleinbetriebe fielen dem Konkurrenzdruck zum Opfer
und Großbetriebe unterlagen einem
Konzentrationsprozess. Schon 1965 hatten die
Brettener Neff-Werke, ein direkter Konkurrent, das nach
wie vor ertragsarme Unternehmen Junker & Ruh mit
etwa 1.600 Beschäftigen übernommen. Kurz darauf kam es
wegen Änderungen der Akkordzeiten in der Gießerei zu
wilden Streiks, die Firma stand kurz vor der Schließung.
Da der neue Besitzer am Standort Karlsruhe keine
Investitionen in neue, rentablere
Fertigungsmethoden tätigen wollte, musste 1968 die
Produktion in der ersten Rezessionsphase der deutschen
Nachkriegswirtschaft endgültig eingestellt werden, "Tod
in der 'Talsohle'" lautete die Schlagzeile einer Zeitung.
Aber auch die Firma Neff, die sehr hohe
Verbindlichkeiten von Junker & Ruh übernommen
hatte, geriet dadurch in Schwierigkeiten und musste
Ende 1968 zur eigenen Rettung die Firma AEG als
Mehrheitsgesellschafter akzeptieren.
Vom einstigen Motor der Karlsruher Industrie blieb ein
riesiger Hallenkomplex, 320 m lang, 120 m breit, der
1975 in Schutt und Trümmer gelegt wurden. Nach
mehrjährigen Bemühungen um den Verkauf des Geländes, in
die auch die Stadt Karlsruhe eingebunden war, wird es
heute von Metro Cash & Carry, einem der ersten Märkte
Karlsruhes, in dem ausschließlich Gewerbetreibende
Waren unterschiedlicher Art für ihren Geschäftsbedarf
einkaufen können, der Deutschen Telekom und der Fa.
Michelin genutzt. An das einst so stolze Unternehmen,
das in seiner Blütezeit bis zu 3.000 Menschen
beschäftigte, erinnert in Karlsruhe nur noch der Name
Junker-und-Ruh-Straße und Junker-und-Ruh-Brücke.
Manfred Fellhauer, Dipl.-Finanzwirt (FH)