Karlsruhe: Kultur
Platz der Grundrechte
Das Konzept
Mit einem ungewöhnlichen Kunstwerk unterstreicht die Stadt Karlsruhe ihre Bedeutung als deutsche "Hauptstadt des Rechts": Am 2. Oktober 2005 wurde der "Platz der Grundrechte" eingeweiht, ein Kunstwerk von Jochen Gerz für den öffentlichen Raum, das unter Beteiligung von Rechtsprominenz, Politikern und der Bevölkerung in der Stadt der höchsten deutschen Gerichte entsteht. Der "Platz der Grundrechte" - ursprünglich ein Geschenk zum 50-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts - soll ein sperriges Thema erlebbar machen: Was bedeuten Recht und Gerechtigkeit für den Einzelnen, was für unsere Demokratie? Die direkte Partizipation und Mitautorenschaft der Öffentlichkeit sind ein wesentliches Merkmal der Arbeiten von Jochen Gerz. Er lädt die Nutzer des öffentlichen Raums ein, diesen mit ihren Stimmen und Beiträgen als Kunst neu zu formulieren und so reale Demokratie herzustellen.
Gerz hat 48 prägnante Aussagen zu Recht und Gerechtigkeit aus Interviews zusammengestellt. Der Künstler konfrontiert 24 Aussagen von Juristen, Wissenschaftlern und Rechtsexperten mit ebenso vielen Statements von Personen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind oder bisher keine einschneidende Erfahrung mit dem Recht gemacht haben. Indem Gerz jeweils eine Antwort der befragten Gruppen auf die Vorder- und Rückseite eines Straßenschildes emailliert, stoßen zwei Ansichten zum Recht direkt aufeinander: "Die beiden Seiten könnten sich nicht näher sein, doch zweifellos sprechen sie Rücken an Rücken." (Gerz) So entstehen spannende, manchmal auch widersprüchliche Konfrontationen und Dialoge. Nüchterne Feststellungen stehen neben emotionalen Ausrufen, in denen sich höchst subjektive Erfahrungen mit Recht und Unrecht widerspiegeln.
Zu den prominenten Personen, die Gerz befragte, gehören etwa der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, seine Vorgängerin und jetzige Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach oder der Philosoph Peter Sloterdijk. Aus dieser Gruppe stammen Aussagen wie "Der Mensch kann nicht vom Recht alles erwarten. Wir haben nicht den totalen Staat oder die totale Herrschaft des Rechts." Aus der Gegengruppe kommen zum Teil provozierende Sätze wie "Das Recht gibt es nur auf dem Papier" oder "Die Gesetze schützen die Anderen vor mir und mich vor mir selbst."
Das Kunstwerk ist zentral und dezentral zugleich angelegt. Der zentrale Ort befindet sich zwischen dem Karlsruher Zirkel und Schlossplatz, auf der historischen Achse der badischen Metropole. Dieser Ort wurde auf Vorschlag vom damaligen Herrn Oberbürgermeister Heinz Fenrich vom Karlsruher Gemeinderat bestimmt und erhält den Namen "Platz der Grundrechte". Hier sind 24 Metallschilder montiert. Die gleiche Zahl Schilder sind als zweite Version des "Platz der Grundrechte" an ebenso vielen Orten der Stadt aufgestellt. Diese 24 dezentralen Standorte hat die Karlsruher Bevölkerung in drei Bürgerforen bestimmt. In der Regel stehen die Standorte für ein Ereignis aus der städtischen Geschichte, das unterschiedliche Aspekte des Themas Recht beleuchtet.
Ein Schild steht an der Stelle, an der 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback von Mitgliedern der RAF erschossen wurde. Eine andere Tafel erinnert am früheren Ständehaus, dem Sitz des ersten deutschen Parlaments, an die demokratischen Ursprünge unseres Staates. Aber auch ausgefallene, vergessene Orte werden in Erinnerung gerufen, so der Platz, an dem die letzte öffentliche Hinrichtung in Karlsruhe stattfand. Für die Kreativität der Karlsruher und ihre umfassende Auslegung des Rechtsbegriffs zeugen ein Standort für Wehrdienstverweigerer nahe des Hauptbahnhofs und einer für die 68er-Bewegung in Karlsruhe-Durlach.
"Die Stadt Karlsruhe, Sitz der wichtigsten juristischen Instanzen in Deutschland, hat mit dem Auftrag an Jochen Gerz eine Besinnung auf ihre Rolle als Hauptstadt des Rechts eingeleitet", bekundete der damalige Oberbürgermeister Heinz Fenrich. "In unserer Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2010 haben wir das Recht und seine kulturelle Dimension im Gemeinwesen thematisiert. Dieser Prozess findet im 'Platz der Grundrechte' eine erste und bleibende Form, doch kein Ende. Karlsruhe wird weitere Anstöße zur Diskussion über das Recht als Grundlage einer Gesellschaft und damit für die derzeit so wichtige Frage der Wertegemeinschaft des zusammenwachsenden Europa geben."