Karlsruhe: Städtische Galerie
Marlene Dumas - Rosemarie Trockel
Werke aus der Sammlung Garnatz
22. April - 24. Juni 2018
Im Zentrum der Ausstellung stehen frühe Werkkomplexe von Marlene Dumas und Rosemarie Trockel, die für das gesamte Schaffen der international renommierten Künstlerinnen beispielhaft sind. Alle Exponate gehören zur hochkarätigen Sammlung des Kölner Ehepaars Ute und Eberhard Garnatz, das seine Kollektion vor mehr als 20 Jahren der Städtischen Galerie Karlsruhe als Dauerleihgabe überlassen hat. Mit sicherem Gespür für Qualität und Relevanz, mit Konsequenz und Weitblick erwarb das Sammlerpaar frühzeitig zahlreiche Arbeiten von Dumas und Trockel. Die Werke stammen zum größten Teil aus den 1980er- und beginnenden 1990er-Jahren, d. h. aus einer Zeit, als die nahezu gleichaltrigen Künstlerinnen am Anfang ihrer Karriere standen und noch nicht wie heute zu den Weltstars der aktuellen Kunstszene zählten. Trotz aller Unterschiede - für Dumas ist vor allem die emotionale Dimension ihrer Malerei wichtig, Trockel hingegen folgt einem eher konzeptionellen Ansatz und arbeitet mit unterschiedlichen Medien - legen beide ihrer Kunst feministische und gesellschaftspolitische Fragestellungen zu Grunde. Die Präsentation "Marlene Dumas - Rosemarie Trockel. Werke aus der Sammlung Garnatz" stellt die zwei zentralen und repräsentativen Konvolute der Kölner Privatkollektion zum ersten Mal einander dialogisch gegenüber. Die Ausstellung wurde als Beitrag zu den 24. Europäischen Kulturtagen Karlsruhe 2018 konzipiert, die in diesem Jahr unter dem Thema "Umbrüche - Aufbrüche: Gleiche Rechte für alle" stehen.
Marlene Dumas,1953 in Kapstadt/Südafrika geboren, studierte von 1972 bis 1975 an der Michaelis School of Fine Art der Universität Kapstadt. 1976 siedelte sie in die Niederlande über und setzte ihre künstlerischen Studien bis 1978 in den Ateliers ´63 in Haarlem fort. 1979/80 schloss sie ein Studium der Psychologie an der Universität in Amsterdam an, wo die Künstlerin seither lebt und arbeitet. Bereits 1982 zur Teilnahme an der documenta 7 in Kassel eingeladen, erfolgte ihr internationaler Durchbruch etwa ein Jahrzehnt später, als Dumas 1992 erneut an der documenta und drei Jahre später auch an der Biennale von Venedig beteiligt war. Eine beeindruckende Zahl von internationalen Ausstellungen präsentierte seither das Schaffen der mit vielen Preisen ausgezeichneten Künstlerin.
In ihren Tuschpinselzeichnungen und Gemälden beschäftigt sich Marlene Dumas mit dem Menschenbild im Zeitalter der Massenmedien. Im Fokus ihres Interesses stehen sowohl Grundsituationen des Menschlichen wie Geburt und Tod, Individualität und Sexualität, als auch tradierte weibliche Rollenklischees, die sie in einer oftmals drastischen, provozierenden Bildsprache visualisiert. Ihre Figurenbilder und Porträts entstehen nicht nach lebenden Modellen, sondern meist auf der Grundlage von "Fundstücken" aus den Medien. Als Vorlagen dienen bevorzugt Abbildungen aus Zeitschriften und Illustrierten sowie selbst angefertigte Fotoaufnahmen, deren Motive Marlene Dumas in Malerei bzw. Tuschezeichnungen übersetzt und gemäß ihrer künstlerischen Intentionen verändert. So wird in der aus 211 Bildnissen bestehenden Serie "Female", 1992/93 als zusammenhängende Gruppe von Porträts unterschiedlichster Frauen realisiert, gerade die Differenz zwischen Individuum und Abbild in den Mittelpunkt gerückt. Der Identifizierung des Subjekts käme dabei keine Bedeutung zu, sie sei, so sagte die Künstlerin selbst, "nicht der Schlüssel zum Inhalt". Die Darstellung konzentriert sich allein auf die Physiognomien, sie vermittelt keine Angaben zu Ort, Zeit oder sozialem Status und negiert auf diese Weise die ursprünglichen Rollen der Porträtierten. Ob Filmstar oder namenlose Passantin, ob junges Mädchen oder gealterte Frau - Dumas behandelt sie ohne Ausnahme gleich: "Ich finde sie alle ungewöhnlich, ich finde alle Menschen gleich beängstigend."
Einen kritisch-ironischen Blick auf den zeitgenössischen Kunstbetrieb und dessen Protagonisten formulierte Dumas in dem etwas früher entstandenen, großformatigen Gemälde "Hell (The People of the Artworld in Monets Lake of the Searoses)", 1987-90. Die Vorlage bildete ein Gruppenfoto der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amsterdamer Stedelijk Museums. Die kühle Farbigkeit, die irritierenden Veränderungen der Physiognomien der Dargestellten und der Umgebung erzeugen eine nächtliche, beinahe bedrohliche Atmosphäre, die farbliche und formale Anklänge an Claude Monet und Edvard Munch aufweist. Nicht weniger beunruhigend wirkt das etwa zeitgleich gemalte Bild "Warhol's Child", 1989-91: Hier wird der Betrachter mit einem monströsen, überdimensional wiedergegebenen Säugling konfrontiert, der aufgrund seiner unproportionierten Gliedmaßen, seines aufgetriebenen Bauchs und der fahlen Hautfarbe alle gängigen Klischees eines gesunden, wonnigen Babys unterläuft.
Auch Rosemarie Trockel hat sich schon früh und ganz bewusst für die kritische Auseinandersetzung mit weiblichen Rollenmustern als ein Hauptthema ihrer Kunst entschieden. 1952 in Schwerte geboren, studierte sie zunächst an der Pädagogischen Hochschule Köln und anschließend von 1974 bis 1978 Malerei an den Kölner Werkschulen. Bereits zehn Jahre nach Abschluss ihrer Ausbildung machten Ausstellungen u. a. im Museum of Modern Art in New York und drei Jahre später in den Museen für zeitgenössische Kunst in Chicago und Boston ihre Werke international bekannt. Seither wurde die in Köln ansässige Konzeptkünstlerin mit vielen Preisen geehrt. 1997 und 2012 nahm Trockel an der documenta in Kassel teil und 1999 bespielte sie - im Alleingang - als erste Künstlerin den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig.
Trockels vielschichtiges Werk hat sich, was die Materialien und formalen Aspekte ihrer Arbeiten betrifft, in immer wieder neuen, überraschenden Sprüngen entfaltet. Klassische Medien wie Zeichnung, Malerei und Skulptur stehen gleichberechtigt neben Videoarbeiten, Objektkunst und Installation, wobei Videos nicht in der Sammlung Garnatz vertreten sind. Das Medium der Zeichnung nutzt sie von Anfang an als Möglichkeit der unverbindlichen Annäherung an spontane Ideen, als gedankliche Projektionsfläche, um potenzielle Lösungen künstlerischer Problemstellungen zu erproben. Die Blätter aus den späten 1980er-Jahren aus der Sammlung Garnatz führen exemplarisch vor Augen, wie sich die verknappte, archaisch wirkende Bildsprache von Trockels Zeichenkunst jeder eindeutigen Entschlüsselung entzieht.
Zu den frühesten und zugleich bekanntesten Werkgruppen der Künstlerin zählen ihre Strickarbeiten, von denen zwei herausragende Beispiele in der Ausstellung gezeigt werden. Gezielt setzt Trockel hier ein Material und eine Technik ein, die spezifisch weiblich konnotiert sind. Doch handelt es sich bei den Wollbildern nicht um Handarbeit, wie die Stricktechnik zunächst vermuten lässt, sondern um computerbasiert von Maschinen hergestellte Stoffe, die auf Keilrahmen aufgezogen wie klassische Malerei präsentiert werden. Ironisch-kritisch reflektiert sie dergestalt nicht nur vermeintlich typische Frauenarbeit, sie bezieht sich in "Ohne Titel (Toroni)" von 1988 auch auf ein kunstimmanentes Thema, indem sie das radikale, minimalistische Konzept des Schweizer Künstlers Niele Toroni aufgreift und ihr Strickmuster frei nach dessen regelmäßig gesetzten Pinselspuren gestaltet.
Der Blick auf Konstruktionen von Weiblichkeit und die Frage nach der gesellschaftlichen Stellung der Frau liegt auch der vieldeutigen Vitrinenarbeit "Ohne Titel (Löffelmuscheln)" von 1986 zugrunde: In einem gläsernen, merkwürdig antiquiert wirkenden Schaukasten hängen sieben "Schöpfkellen", deren Stielenden nicht in eine glatte Rundung zum Schöpfen übergehen, sondern den Abguss einer bauchig-gezackten Muschelform aufweisen. Mit dem Motiv der Muschel zitiert die Künstlerin ein traditionelles Symbol weiblicher Sexualität und Empfängnis; in Verbindung mit der Anspielung auf das alltägliche Küchengerät wird so auf die klassischen Aufgabenbereiche der Frau - Mutterschaft, Kindererziehung und Hausfrauendasein - verwiesen. Die regelmäßige Aufreihung der sieben "Löffelmuscheln" deutet die Gleichförmigkeit und monotone Wiederholung vieler Tätigkeiten an, die mit diesen Funktionen verbunden sind, sie kann aber zugleich auch als Hinweis auf den christlich-biblischen Schöpfungsmythos verstanden werden.
Der Katalog zur Ausstellung mit zahlreichen Farbabbildungen und einem Text von Carmela Thiele erscheint im Michael Imhof Verlag.
Eintritt:
6 € / 4 € ermäßigt