Karlsruhe: Städtische Galerie
Otto Bartning (1883–1959). Architekt einer sozialen Moderne
Die Ausstellung "Otto Bartning (1883-1959). Architekt
einer sozialen Moderne" würdigt erstmals alle
Bereiche des vielschichtigen Lebenswerks von Otto Bartning. Als
Architekt und Theoretiker der Moderne, als Inspirator und
Kritiker, Schriftsteller und Berater hat Bartning die Baukultur
des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Dabei setzte er neue
Maßstäbe in der engen Verbindung von künstlerischem Anspruch und
sozialer Verantwortung, berücksichtigte in seinen in ganz
Deutschland und auch im europäischen Ausland errichteten
Kultur-, Sozial- und Wohnbauten menschliche Bedürfnisse,
Gebrauchsfähigkeit und Akzeptanz. In seinem Bestreben, stets
auch der spirituellen Dimension im Leben der Gesellschaft einen
angemessenen Raum zu geben, wurde der 1883 in Karlsruhe geborene
Architekt schon früh zum Protagonisten des modernen
evangelischen Kirchenbaus. Allein in seiner Heimatstadt haben
sich drei nach seinen Plänen errichtete Sakralbauten aus ganz
unterschiedlichen Werkphasen erhalten. Die umfassende
Retrospektive führt anhand von originalen Zeichnungen,
Fotografien und Modellen durch vier Epochen deutscher
Architekturgeschichte. Viele bisher noch nicht präsentierte
Exponate sind zu sehen, da für die Ausstellung erstmals der im
Otto-Bartning-Archiv der TU Darmstadt erschlossene gesamte
private Nachlass Bartnings zur Verfügung
stand.
Otto Bartning studierte von 1902 bis 1907 an den
Architekturfakultäten in Berlin und in seiner Heimatstadt. Seine
Bauten im Kaiserreich zeigen beispielhaft die radikale Abkehr
vom noch gängigen Historismus. Nach dem Ersten Weltkrieg
publizierte er seine Programmschrift "Vom neuen Kirchbau" (1919)
und schuf wenig später den Entwurf der Sternkirche (1922), der -
obwohl nie realisiert - einen spektakulären Höhepunkt
expressionistischer Architektur darstellt. Mit der Stahlkirche
in Köln, der Auferstehungskirche in Essen und der
Gustav-Adolf-Kirche in Berlin realisierte er seit 1928
herausragende Leitbauten der modernen Sakralarchitektur.
Zusammen mit Architekten wie Walter Gropius, Bruno Taut und Hans Scharoun prägte Bartning das Neue Bauen der Weimarer Republik entscheidend mit. Er erprobte Bautechniken,
Materialien und Grundrisse für Einzelwohnhäuser wie für den Siedlungsbau und entwickelte durch Typisierung, Normierung und Rationalisierung eine neue Baukultur. An der Planung und Umsetzung der Berliner Siedlungen Siemensstadt und Haselhorst, einem der größten Wohnungsbauprojekte der Weimarer Republik, war er maßgeblich beteiligt. Darüber hinaus realisierte er als Leiter der Staatlichen Bauhochschule in Weimar von 1926 bis 1930 seine bereits seit 1918 im Unterrichtsausschuss des Arbeitsrates für Kunst formulierten Ideen zur Reform der Architektenausbildung.
Ab 1930 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war Bartning besonders als Baumeister von Kirchen im In- und Ausland tätig. In den Jahren der NS-Diktatur stellte er sich weder in offenen Widerstand zu den neuen Machthabern, noch sympathisierte er mit deren Ideologie. Um als Architekt weiter arbeiten zu können, trat er Ende 1933 der Reichskulturkammer bei, Mitglied der NSDAP wurde er nicht. Für die Evangelische Kirche baute er bis 1939 im Inland, für das Kirchliche Außenamt bis 1944 Kirchen im Ausland. Als sein erster in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur errichteter Sakralbau gilt die Markuskirche in Karlsruhe (1934/35), die er mit einem besonderen Gespür für die städtebauliche Situation am Yorckplatz plante und umsetzte. 1938 folgte mit dem vom "Evangelischen Verein der Weststadt, Wichernbund" in Auftrag gegebenen Altenwohnheim (heute Franz-Rohde-Haus) der zweite Bartning-Bau in der Fächerstadt.
Nach den Verwüstungen des Krieges waren Millionen Menschen obdachlos geworden. Durch die großen Flüchtlingsbewegungen bildeten sich sogenannte Diasporagemeinden, die weder über Kirchen noch eigene Räume verfügten. Bereits im Sommer 1945 wurde als Reaktion auf diesen Missstand das Notkirchenprogramm des Deutschen Evangelischen Hilfswerks unter der Federführung von Bartning ausgearbeitet und in 43 deutschen Städten - unter anderem mit der Friedenskirche in Karlsruhe - umgesetzt. Da die Kirchenbauten günstig und flexibel anpassbar sein sollten, wurden vier Typen von Montagekirchen aus seriell herstellbaren Holzkonstruktionen entwickelt, in denen das überall verfügbare Trümmermaterial verbaut werden konnte. Auch die nach Plänen Bartnings in den Jahren 1958 bis 1960 errichtete Thomaskirche im Karlsruher Stadtteil Daxlanden orientiert sich in ihrer Gestaltung an den Notkirchen.
In den 1950er Jahren wurde Otto Bartning schließlich zu einer Schlüsselfigur des Wiederaufbaus in der jungen Bundesrepublik. Als Repräsentant bedeutender nationaler und internationaler Organisationen, als Preisrichter in mehr als 60 Wettbewerben und als Gutachter nahm er großen Einfluss auf wichtige Architekturentscheidungen der Nachkriegszeit. Seit 1950 Präsident des Bundes Deutscher Architekten übertrug man ihm fünf Jahre später die Aufgabe des Städtebaulichen Beraters für West-Berlin, außerdem war er Mitbegründer der Sektion Baukunst der Akademie der Künste Berlin. Auch bei der in West-Berlin stattfindenden Internationalen Bauausstellung Interbau 1957 spielte er als Leiter, Moderator und Organisator eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang entstand der neue Bebauungsplan für das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Hansaviertel, an dem international renommierte Architekten wie Alvar Aalto oder Walter Gropius mitwirkten. Seit 1956 bereitete Bartning zusammen mit Hans Schwippert, Egon Eiermann und Sep Ruf den Beitrag für die viel beachtete Präsentation der Bundesrepublik Deutschland auf der Expo Brüssel 1958 vor.
Die Ausstellung, kuratiert von Dr. Sandra Wagner-Conzelmann, ist ein Kooperationsprojekt der Akademie der Künste, Berlin, und der Wüstenrot Stiftung in Zusammenarbeit mit der Städtischen Galerie Karlsruhe, dem Institut Mathildenhöhe Darmstadt und der Technischen Universität Darmstadt. Zur Ausstellung ist eine begleitende, umfangreiche Publikation erschienen (Preis an der Museumskasse: 19,90 Euro).
Führungen der Kuratorin Dr. Sandra Wagner-Conzelmann durch die Ausstellung
20. September 2017, 15 Uhr
21. September 2017, 11 Uhr
Begleitprogramm
Symposium zur Ausstellung "Otto Bartning (1883-1959). Architekt einer
sozialen Moderne": "Historische Bauten - Kulturelles Erbe oder Hindernis
für die Stadtentwicklung?"
20. September 2017, 19.30 Uhr, Städtische Galerie Karlsruhe
Moderation:
Dr. Susanne Asche, Leiterin des Kulturamtes Karlsruhe
Teilnehmer:
Dr. Meinrad von Engelberg, Technische Universität Darmstadt
Dr. Gerhard Kabierske, saai | Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Michael Obert, Baubürgermeister der Stadt Karlsruhe
Dr. Thomas Schalla, Dekan der Evangelischen Kirche Karlsruhe
Dr. Ulrike Plate, Landeskonservatorium im Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart
Dr. Sandra Wagner-Conzelmann, Technische Universität Darmstadt, Kuratorin der Ausstellung
Kirchenöffnungen jeweils von 14 bis 18 Uhr
23. Juli: Friedenskirche und Thomaskirche
17. September: Friedenskirche und Thomaskirche
15. Oktober: Markuskirche, Friedenskirche und Thomaskirche
Kirchenführungen
03. September, 14 Uhr Dipl. Ing. Sabine Straßburg, Friedenskirche, Tauberstr. 8
17. September, 14 Uhr Dipl. Ing. Sabine Straßburg, Thomaskirche, Kopernikusstr. 2
08. Oktober, 15 Uhr Dr. Chris Gerbing, Markuskirche, Weinbrennerstr. 23
Kirchenführungen
8. Okt. | 15 Uhr
Markuskirche Weinbrennerstr. 23 | Dr. Chris Gerbing
[Die Führung in der Markuskirche findet um 15 Uhr statt - NICHT um 14 Uhr wie fälschlicherweise auf dem Flyer zur Ausstellung angegeben]
Kirchenöffnungen
von 14 bis 18 Uhr
15. Okt. 2017
Markuskirche, Friedenskirche und Thomaskirche
Modell der Sternkirche, 1922, Aus „Ernst Pollak: Der Baumeister Otto Bartning, Unser Lebensgefühl gestaltet in seinem Werk, Berlin 1926.“ Fotografie Otto Hartmann
Stahlkirche auf der Pressa in Köln, 1928, Außenansicht, Foto: Hugo Schmölz, Otto-Bartning-Archiv der TU Darmstadt
Stahlkirche auf der Pressa in Köln, 1928, Innenansicht, Foto: Otto-Bartning-Archiv der TU Darmstadt
Otto Bartning: Frauenklinik Darmstadt, 1952-1954, Foto: Günter Senfft, Otto-Bartning-Archiv der TU Darmstadt