Karlsruhe: Städtische Galerie
Die andere Moderne - Kunst und Künstler in den Ländern am Rhein 1900 bis 1922
2. August bis 19. Oktober 2014
In den Jahren um und nach 1900 befand sich die deutsche
Kunstlandschaft im Umbruch. In zahlreichen
westdeutschen Städten schlossen sich Künstler zu
Interessengemeinschaften zusammen. Um
überregionale Aufmerksamkeit zu erlangen und ein
Gegengewicht zur kulturellen Vorherrschaft der
Kunstzentren Berlin und München zu bilden, wurden in
Düsseldorf zwei Initiativen gegründet: 1900 die
Zeitschrift "Die Rheinlande" und 1904 der "Verband der
Kunstfreunde in den Ländern am Rhein", dessen
ambitionierte Ausstellungstätigkeit große Beachtung
fand. Gemeinsam verfolgten sie das Ziel, der Vielfalt
neuer künstlerischer Positionen in den Regionen am Rhein
ein Forum zu bieten. So stand das Kunstgeschehen am
Bodensee, in Basel, Zürich und Straβburg ebenso im Fokus
des Interesses wie die aktuellen Strömungen in Karlsruhe,
Stuttgart, Darmstadt, Frankfurt, Köln, Düsseldorf oder
Hagen. Mehr als 130 Gemälde, Grafiken und Plastiken von
rund 80 Künstlern, von Max Beckmann bis Christian Rohlfs,
von Heinrich Altherr bis Wilhelm Trübner, von Karl Albiker
bis Bernhard Hoetger und Wilhelm Lehmbruck - ausgewählt
nach ihrer Präsenz in der Zeitschrift bzw. in den
Ausstellungen des Verbands - geben anschaulich Einblick
in die Aktivitäten, um eine "andere Moderne" jenseits der
dominanten Kunstmetropolen zu etablieren.
Drei Jahre nach dem ersten Erscheinen der Zeitschrift "Die Rheinlande" im Oktober 1900 begann ihr Herausgeber, der Schriftsteller Wilhelm Schäfer, den "Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein" zu initiieren. Er begeisterte Vertreter aus Kunst, Politik und Wirtschaft westdeutscher Städte für die Idee einer Künstlergemeinschaft der rheinländischen Szene. Wenig später folgte die Gründung des Verbands, die "Rheinlande" avancierte zum offiziellen Publikationsorgan der Vereinigung. Zu den Gründungsmitgliedern zählten Persönlichkeiten wie Peter Behrens aus Düsseldorf, Josef Maria Olbrich aus Darmstadt, Hans Thoma aus Karlsruhe, Wilhelm Trübner aus Frankfurt am Main und Karl Ernst Osthaus, Gründer des Museums Folkwang in Hagen. In Düsseldorf, Hagen, Frankfurt, Darmstadt, Karlsruhe, Straßburg, Stuttgart und ab 1907 in Zürich wurden Kunstkommissionen gebildet, die sich engagiert für die Förderung der Künstler einsetzten.
Der Organisation des Verbands entsprechend, präsentiert die Ausstellung die acht regionalen Sektionen in jeweils eigenen Bereichen. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der badischen Residenzstadt Karlsruhe und auf Straßburg, der Hauptstadt des benachbarten Reichslandes Elsass-Lothringen. Den Auftakt machen die Professoren der renommierten Karlsruher Kunstakademie, die vor allem als "Landschafterschule" einen hervorragenden Ruf genoss. Wilhelm Trübner vertrat mit seiner dynamischen, skizzenhaften Pinselschrift und einer reduzierten Farbpalette die fortschrittlichste Richtung. Aber auch Gustav Schönleber, Hans Thoma, Ludwig Dill, Hans Richard von Volkmann oder später Albert Haueisen als Nachfolger Trübners prägten das Kunstleben in Karlsruhe entscheidend mit. Aus Schönlebers Schülerkreis formierte sich die "Grötzinger Malerkolonie", der anlässlich ihres 125-jährigen Jubiläums im zweiten Obergeschoss des Museums eine eigene, bis zum 5. Oktober 2014 laufende Ausstellung gewidmet ist.
Zu den Lehrern der Akademie in Karlsruhe gehörte auch Carlos Grethe, der jedoch bereits 1899 einem Ruf nach Stuttgart gefolgt war. Von ihm wie von Christian Landenberger und Hermann Pleuer sind eindrucksvolle Beispiele des schwäbischen Impressionismus zu sehen. Wegweisende Bedeutung kommt dem Stuttgarter Akademieprofessor Adolf Hölzel zu. Seine abstrahierende Farbflächenmalerei beeinflusste viele junge Künstler aus Deutschland und der Schweiz. Für die Verbandsausstellung 1914 in Stuttgart konzipierte Hölzel einen avantgardistischen "Saal der Expressionisten"- keine leichte Kost für das zeitgenössische Publikum, das überwiegend mit Ablehnung reagierte.
Expressionistische Form- und Farbsteigerung zeichnet auch die Gemälde der Düsseldorfer Julius Bretz und Walter Ophey aus, beide Gründerväter des "Sonderbundes", dessen epochemachende Ausstellung von 1912 in Köln den Durchbruch der internationalen Moderne in Deutschland bewirkte. Stilistisch dem Spätimpressionismus verpflichtet sind hingegen die Kompositionen von August Deusser und die stimmungsvollen Winterlandschaften von Max Clarenbach. Die 1919 ins Leben gerufene Künstlergruppe "Das junge Rheinland" wird mit signifikanten Werken von Heinrich Nauen und Adolf de Haer exemplarisch thematisiert. Auch die Bildhauer Wilhelm Lehmbruck und vor allem Bernhard Hoetger fanden schon früh große Beachtung. Der in Westfalen geborene Hoetger zählte - wie Christian Rohlfs - zu jenen von Karl Ernst Osthaus besonders geförderten Künstlern.
Herausragende Exponate in der Sektion Frankfurt und Darmstadt stammen von Max Beckmann, dem Siegfried Kracauer 1921 einen Beitrag in der "Rheinlande" widmete, aber auch von Eugen Bracht und Thomas Manns Lieblingsmaler Ludwig von Hofmann. Diesem Bereich sind außerdem die formal reduzierten, zugleich höchst sinnlichen Plastiken des aus Hanau gebürtigen, in Berlin lebenden Tierbildhauers August Gaul zugeordnet, einem der wichtigsten Wegbereiter der modernen Bildhauerei in Deutschland.
Als Zürich und die deutschsprachige Schweiz 1908 in den Verband aufgenommen wurde, ging für Wilhelm Schäfer ein langersehnter Wunsch in Erfüllung. Schon in den Jahren zuvor hatte die Zeitschrift immer wieder über Ernst Würtenberger, Max Buri, Cuno Amiet und vor allem Ferdinand Hodler berichtet. Die jährliche Verbandsausstellung fand 1911 im neu errichteten Kunsthaus Zürich statt. Das Kunstgeschehen im Elsass wird abschließend mit Werken von Heinrich Beecke, Emil Brischle, Hans Mathis, Gustav Stoskopf, Charles Spindler und vor allem Lothar von Seebach vorgestellt, der als ehemaliger Meisterschüler von Ferdinand Keller in Karlsruhe seit 1875 in Straßburg lebte und arbeitete.
Wilhelm Trübner, Rosenzaun am Starnberger See, 1909, Sammlung GIERSCH, Frankfurt a. M.
Ferdinand Hodler, Selbstbildnis mit aufgerissenen Augen II, 1912, Kunsthaus Glarus
Hans Thoma, Das Lauterbrunnental, 1904, Privatbesitz
Christian Rohlfs, Wicken, 1907, Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität Marburg
Ida Gerhardi, Siamesischer Prinz, 1908, Stiftung Museum Kunstpalast Düsseldorf
Lothar von Seebach, Arbeiter am Kanal, um 1898, Privatbesitz